Mein Lebenslauf
Meiner Nachwelt gewidmet
von Heinrich Rebsamen
Meiner Nachwelt gewidmet
von Heinrich Rebsamen

Vorwort
Lebensbeschreibungen liest man meistens über Menschen, die sich besondere Verdienste irgendwelcher Art erworben haben, also über die Mitte herausragen.
Nun sei zum voraus bemerkt, dass der Grund dieser Niederschrift auf einer andern Linie liegt, nämlich
erstens: Besondere Vorliebe für schriftliche Tätigkeit,
zweitens: genügende Zeit und
drittens: Meinen Nachkommen zu erzählen, dass ihr Vater sein bisschen Leben nur mit Mühe und Arbeit verbringen musste und wenn's mal schief ging, nicht immer nur die Andern schuld waren.
Es ist schon mündlich viel darüber den Nachkommen vermittelt worden, aber in ihrer Jugend konnten sie die Tragweite nicht erfassen, erst wenn sie mal auch vom Leben geschüttelt worden sind, werden sie dann anders denken, nämlich: dass Leben kämpfen heisst.
November 1939
Bemerkungen seines Enkels Rolf Rebsamen
Dieser Lebenslauf wurde von meinem Grossvater ab dem Jahr 1889 – 1948 stückweise in deutscher Sütterlin Schrift aufgeschrieben.
Das Heft (Format A5), in dem der Lebenslauf handschriftlich vom Grossvater aufgezeichnet wurde, haben wir beim Räumen der Wohnung seiner Tochter Sofie Rebsamen, 1988 in Winterthur, gefunden.
In die heutige Schrift umgesetzt und in PC eingegeben von seinem Enkel Rolf Rebsamen, Laufenburg, Ende Jahr 2008, Anfang Jahr 2009.
Die nachfolgende Version ist ohne jegliche Aenderung vom Originaltext übernommen worden. Zum besseren Lesen der Sätze habe ich verschiedene Worte in Klammern beigefügt und zusätzlich Satzzeichen gesetzt.
Ferner habe ich verschiedene Abschnitte aus dem Kapitel „Ergänzungen und Allgemeines“ in den anderen Kapiteln eingeschoben, und der Anfang und das Ende dieser Abschnitte mit einem roten ∆, die innerhalb eines Kapitels verschobenen Abschnitte mit einem grünen ∆ bezeichnet.
Im weitern sind die entsprechenden Zwischentitel und die Bilder von mir eingefügt worden.
Die Erklärungen zu den Bildern sind von mir geschrieben, und mit einem Rahmen umrandet.
Kopie der Seite 2 der handschriftlichen Aufzeichnungen des Lebenslaufes von
Heinrich Rebsamen-Rüegg 1867 - 1952
Das Heft in dem die Aufzeichnungen enthalten sind hat die Grösse A5
( 147 x 210 mm) und umfasst total 106 Seiten.
Von der Geburt bis zur Schule
So viel man mir sagte, war es Donnerstag, den 7. November 1867 als in Gündisau (Kirchgemeinde Russikon, Kt. Zürich) meine Wenigkeit das Licht der Welt erblickte. Ob darüber eitel Freude herrschte bei meinen Eltern und den schon vorhandenen 8 lebenden Geschwistern?
Das Dorf Gündisau
Der Vater war Zimmermann, war viel auswärts, denn die lieben Gündisauer Bauern liessen wichtige, einträglichere Reparaturen an ihren Lauben von auswärts herstellen. Nicht dass der Vater die nötige Fähigkeit nicht besessen hätte, nein, es war bloss Bauernstolz, wie es häufig Armen gegenüber gepflegt wird. Grosse, arme Familien waren damals, wie heute, den Besitzenden ein Dorn im Auge, ja galt fast als Schande; dessen ungeachtet aber, hat sich jeder Einzelne unserer Familie recht und schlecht durchs Leben geschlagen und waren brauchbare und geachtete Glieder der menschlichen Gesellschaft.
Meine Mutter war eine geplagte Frau, was ja aus voriger Schilderung begreiflich ist.
Um ein genaueres Bild unserer Familie zu haben, diene folgender Auszug des Zivilstandsamtes Russikon:
Letzter
Name Geburt Todestag Wohnort Ruhestätte
Eltern:
Rebsamen Johann, geb.19.12.1819 gest. 25.02.1884 Gündisau Russikon
Rebsamen geb.Gubler Barbara geb.10.10.1824 gest. 21.01.1904 Gündisau Russikon
Kinder:
Rebsamen Barbara, Tochter geb. 27.02.1853 gest. 02.11.1941 Wila Wila
Rebsamen Albert , Sohn geb. 05.12.1855 gest. 06.01.1898 Ottikon Illnau
Rebsamen Fridolina, Tochter geb. 02.06.1857 gest. 03.03.1915 Neuthal Bäretswil
Rebsamen Regula, Tochter geb. 03.09.1858 gest. 08.04.1919 Zürich Zürich
Rebsamen Margaretha, Tochter geb. 17.02.1860 gest. 07.01.1905 Gosswil Turbenthal
Rebsamen Johannes, Sohn geb. 18.09.1861 gest. 20.08.1945 Neuthal Bäretswil
Rebsamen Albertina, Tochter geb. 24.06.1863 gest. 16.10.1933 Union City New. Jersey
Rebsamen Anna, Tochter geb. 23.08.1866 gest. 22.02.1928 Winterthur Winterthur
Rebsamen Heinrich, m.Wenigkeit geb. 07.11.1867 gest. 10.11.1952 Singen a.H. Laufenburg
Rebsamen Hermann, Sohn geb. 30.03.1869 gest. 03.04.1848 Neuthal Bäretswil
Bemerkung: Grüne Ergänzungen durch Rolf Rebsamen
Wie aus der Geburtstabelle ersichtlich, ist nach mir noch ein Bruder angekommen, so dass die ganze Familie bestand aus: Vater und Mutter, 4 Söhne und 6 Töchtern, dann aber war Schluss und die Quantität genügte auch. Natürlich sind von den älteren Geschwistern einige in der Welt draussen, aber 5-6 Paar Füsse waren fast stets unter Vaters Tisch.
Einfügung durch Rolf Rebsamen
Zusammenstellung aus handschriftlichen Notizen meines Grossvaters über seine Familie 1947
Meine Eltern
Vater von mir hatte, soviel ich weiss 2 Brüder und eine Schwester (meine Gotte).
Der eine Bruder hiess Ulrich wohnte in Hofstetten bei Elgg, und war Landwirt. Er hatte 2 Söhne, einer war Schuster und leitete die dortige Postablage viele Jahre, und der andere soll nach Amerika verreist sein.
Der andere jüngere hiess Gottlieb, in Niederuster, Müller von Beruf zuletzt in Oberuster. Hatte
1 Sohn jung gestorben und 2 Töchter; ob sie noch leben und wo, weiss ich nicht. Unsere
Grossmutter (bezw. meine Mutter) geb. Gubler aus Sennhof bei Russikon hatte einen Bruder, genannt Gubler in Bliggenswil/ Bauma (weit bekannt) und drei Schwestern, eine in Gündisau (Gubler), eine in Rikon (Effretikon) und eine in Fischenthal. Die Gündisauer Schwester war mit einem Förster verheiratet; zahlreiche Familie; Mutters Bruder war Fabrikarbeiter (Weber in Widen bei Bauma) und war kein Abstinent und doch 94 Jahre alt geworden, War zweimal verheiratet und Vater einer Tochter, deren Aufenhaltsort mir nicht bekannt ist.
Die Schwester in Rikon hatte es jedenfalls am besten, ihr Mann war Baumeister, Kreisschätzer und war weiss was alles. Die Fischenthaler Schwester hiess Amsteg, was sie trieben ist mir entgangen.
Weitere Bemerkungen über meine Geschwister:
Barbara geb. 1853, gest. 1941, 88-jährig, war mit Egli Ulrich aus --- (Steinenbach bei Wila) verheiratet, betrieb Hausierhandel in Haussachen, wohnte in Wila, eigenes Haus; 2 Söhne und 1 Tochter waren ihm eigen. Der eine Sohn betreibt in Lausanne einen Handel (Laden), und der andere ist Bankbeamter in Winterthur und die Tochter (etwas missgestaltet) lebt seit dem Tode ihrer Eltern in einer Art Kantonsanstalt in der Nähe Zürichs.
Albert geb. 15.12.1855, gest. 6.1.1898, 43 jährig war zweimal verheiratet, hatte von der ersten Frau Rosa Morf, Rikon mehrere Kinder, war Zimmermann. Ob von der zweiten Frau Nachkommen da sind, weiss ich nicht, jedoch soll die zweite Ehe nicht harmonisch verlaufen sein, so dass Albert freiwillig starb, beerdigt Illnau.
Fridolina geb. 02.11.1857 (richtig nach Fam.register 02.06.1857), gest. 03. 03. 1915 im Neuthal, war nie 100% ig gesund, weil sie als Kind mal Tollkirschen gegessen haben soll. War einige Jahre mit einem alten Landwirt Manz im Loch bei Wila verheiratet. Nach dem Tode des Mannes zog sie zu Bruder Jean ins Neuthal und ist 03.03.1915 im Alter von 55 Jahren (richtig 58 Jahre) beerdigt worden in Bäretswil. Ohne Kinder.
Regula geb. 03. 09.1858, gest. 08. 04. 1919 in Winterthur, verheiratet mit Jul. Schellenberg, Schreiner und zuletzt Weichenwärter aus Irgenhausen, später geschieden. Kinder meine ich
2 Söhne irgendwo.
Margaretha geb. 17.02.1860 gest. 07.01.1905, verheiratet mit Harr Jakob, Korbfabrikant (aus Württemberg) zuerst wohnhaft in Gosswil (Steinenbach) zuletzt wohnhaft in Turbenthal. Keine Kinder.
Johannes (Jean) geb. 18.09.1861 gest. 07.01.1945 (richtig 20.08.1945) im Neuthal, verheiratet mit Furrer Emilie von Bauma. Zuerst Schreiner, dann Sticker. Hatte eigene Maschine im Wohnhaus. Zwei Töchter, wurde Witwer, viele Jahre. Die ältere Tochter Gertrud war mit Pfenninger, Metzger aus ? Waigenschwil ? verheiratet, wurde Witwe und ist gestorben. Ich war ihr Götti. Die andere Tochter Hulda verheiratet mit Emil Röthlisberger, Bierbraugehilfe, in Winterthur/Veltheim, verloren zwei Söhne im schönsten Alter zwischen 20-30 Jahren.
Albertina geb. 24.06.1863 gest. 16.10.1933 in New Jersey Amerika, war mit Adolf Hunziker aus Kt. Aargau verheiratet. Er war einige Zeit Weichenwärter, dann Arbeiter in einer Maschinenfabrik. Sie lebten in Zürich und zuletzt in Uznach SG. 2 Kinder. Sie zogen dann zu ihrem Sohn nach Amerika, wo auch ihre Tochter weilt. Der Sohn soll sich gut gestellt haben. Seit Albertinas Tod wissen wir nichts mehr; als dass ihr Mann auch tot sein soll.
Anna geb. 28.08.1866 gest. 22.02.1928 in Winterthur wo sie mit Fritz (Friedrich) Schulthess, Fabrikarbeiter verheiratet war. Kinder: ein Sohn. Fritz hat sich wieder verheiratet.
Heinrich: geb. 07.11.1867, verheiratet mit Sofie geb. Rüegg aus Bauma. Da der Vater aber unvermögend war, musste sein Wunsch ( Heinrichs ) Lehrer zu werden ins Wasser fallen und nach Verrichtung verschiedener Arbeiten, wie Dorfausläufer, stellvertretender Postbote, Strohflechter, Fädler in Stickerei, musste er nach Vaters Tod 1884 in die Spinnerei Neuthal, St. Jngbert, Dietfurt und zuletzt in Singen a/H. bis zum 60sten Altersjahr.
Der Betrieb wurde aufgelöst und ich wurde vom Gas- und Elektrizitätswerk das das Gelände erwarb als Jnventor übernommen und arbeitete dort zum 70sten Lebensjahr, also 40 Jahre aktiv und nun im 10. Jahr Rentner. Kinder 4: 3 Söhne und 1 Tochter. Die Söhne sind verheiratet, doch alle 4 in geordneten Verhältnissen. Was am 25. Dezember 1944 geschah wissen ja alle, und werde voraussichtlich hier in Laufenburg bei Sohn Fritz mein Ende finden.
Hermann: geb. 30.03. 1869, verheiratet mit Keller Emma , aus Fischenthal, wohnt im eigenem Haus in Neuthal. Verrichtet Gelegenheitsarbeit, und lebt mit Frau und einzigem Sohn friedlich beisammen. Sohn ist Fabrikarbeiter, aber noch ledig.
Rötlisberger-Rebsamen Hulda, Tochter des Johann (Jean) Rebsamen.
Wie vorstehend erwähnt hat sich Hulda geb. Rebsamen mit Emil Röthlisberger verheiratet und wohnte in Winterthur-Veltheim. Hulda war Cousine zu meinem Vater Fritz und sie pflegten einen lockeren Kontakt.
Dadurch habe ich diese Familie kennen gelernt und war einige Male zu Besuch bei ihnen zu Hause. Emil Röthlisberger arbeitete in der Brauerei Haldengut und sein Hobby war schnitzen. Da ich stets Begeisterung für diese Arbeiten hatte, schenkte er uns einige Figuren, die ich heute noch sehr schätze und verehre. (Mein Bruder Jörg ist im Besitze einer ganzen Kompagnie Soldaten) Einfügung RR
Einfügung von Rolf Rebsamen
So wohnten wir
Unsere Behausung in Gündisau stand hart an der Strasse und weil noch eine zweite Familie neben uns wohnte und beide Parteien je eine Scheuer und einen Schopf besassen, alles unter einem Dach untergebracht, so kann man die ganze Gebäulichkeit ruhig als „Flarz“ bezeichnen, die sich von der Strasse bis an den Bach hinzog.
Reihen und Flarzhäuser für die Armen
Die armen Kleinbauern und Heimarbeiter lebten in kleinen und kleinsten Wohnungen. Weil der Boden, auf dem gebaut werden kann, knapp ist, entwickelte man Raum sparende Bauweisen, etwa Reihenhäuser, in denen man Wohnung an Wohnung baute. Flarz kommt vom Dialektwort „umeflarze“ und bedeutet, sich nahe am Boden bewegen.
Nähere Beschreibung siehe Anhang
Ja ein Garten war auch vor dem Haus. Ein schönes Apfelbäumchen stand in unserem Teil, das jedes Jahr reichlich schöne gelbe „ Usteräpfel“ trug zu unserer Freude.
Herkunft: Die Sorte soll um 1760 von einem
Herrn Platter, der in den Niederlanden
gedient hat, auf der Burg in Uster eingeführt
worden sein.
Unser Nachbar, „Kägi“ hiess er, hatte aber an dem Baum keinen grossen Gefallen, er versperre ihm die Aussicht auf die Strasse und auf einmal starb der Baum ab und musste umgehauen werden. Was war geschehen? Unser lieber Nachbar soll heisses Wasser in einem unbewachten Augenblick auf die Saugwurzeln geschüttet haben. Der edle Herr war ein Trunkenbold und seine Frau hatte sich von ihm entfernt mit der Tochter; nur sein Sohn Adolf (nebenbei bemerkt, ein braver Kerl, einige Jahre älter als ich) war bei ihm bis--- , ja bis sein Vater freiwillig aus dem Leben schied und dann Frau Lifette wieder mit Tochter Ida in ihrer Heimat eingezogen, und von da ab hatten wir wieder geniessbare Nachbarschaft.
Auch eine Überschwemmung und zwei Feuerbrünste waren zu bestehen in unserem Dorf, wäh-rend der Zeit von Geburt bis zum schulpflichtigen Alter. Von diesen angeführten Erlebnissen soll weiter nicht mehr die Rede sein.
Vom Schulbeginn bis zum Selbsterwerb
Im Jahr 1873 begann die Sorgenzeit der Kinder, die Schule. Unser damaliges Schulhaus war ein alter Bau, auf dessen Dach ein Glockentürmchen stand. Morgens fünf, Mittags elf, Abends vier und Nachts bei einbrechender Dunkelheit, auch bei Beerdigungen, ist das Glöcklein geläutet worden. Wir Buben hatten den grössten Stolz, wenn wir läuten durften. Auch eine Uhr mit Zifferblatt zierten den Turm
Das Gündisauer Schulhaus von 1811
Nur ein Schulzimmer ebener Erde war vorhanden mit den nötigen Utensilien, sowie eine Land-karte des Kantons Zürich, eine der Schweiz, die Wandtafel, der Büchertisch mit Sessel für den Lehrer, 6 Schulbänke und nur eine Front gegen die Strasse mit Fenstern. Die Alltagsschule vom 6.ten bis 12. Jahr, also 6 Klassen zählten durchschnittlich so 20-30 Schüler. In meiner Klasse war ich der einzige Bub, aber alle 6 Klassen hindurch noch 5 Mädels. Mein Platz war stets der oberste am Fenster, dann neben mir der Reihe nach die erwähnten 5 „Damen“. Direkt neben mir sass eine Wilhelmina Gubler (schon lang gestorben). Der erste Lehrer hiess Müller, unserer Ansicht nach ein böser Patron. Meine Schulnachbarin führte mit mir ein heimliches Gespräch und der Lehrer strafte nur mit einem „Tatzen“, der nicht von schlechten Eltern war und mir eine geschwollene Hand eintrug, aber seine moralische Wirkung für lange Zeit nicht verfehlte.
In der 2.ten Klasse hatten wir einen jungen Lehrer namens Oertle, ein braver Pädagoge, in der 3.ten Klasse unterrichtete uns ein Lehrer Kühn, ein älteres Kaliber, hässig und unwillig, so dass uns für die 4.te Klasse ein Lehrer Brändli zugeteilt wurde, der uns Schülern symphatisch war, aber schon nächstes Jahr erhielten wir für die 6.te Klasse wieder einen andern Hirten, einen Herrn „Ganz“, tüchtig, aber streng. Diese 5 Lehrer hatten natürlich auch die andern Klassen. Wenn auch die Heu, Emd, Herbst und Examenferien willkommene Abwechslung waren, so empfand ich die Schulzeit durchaus nicht lästig und in mir erwuchs ernsthaft der Wunsch, Lehrer zu werden. Herr Lehrer Ganz sprach darüber mit meinem Vater in diesem Punkt, aber --
Mein Vater hätte es ja gerne gesehen, wenn es möglich gewesen wäre, aber aus folgenden Gründen eben ein frommer Wunsch blieb: Unentgeltliche Lehrmittel gab es damals noch nicht und das Schulgeld bis zum fertigen Lehrer war für unsere Verhältnisse unerschwinglich und Hilfe von dritter Seite nicht denkbar, obschon es Gündisauer Bürger gab, denen es ein leichtes gewesen wäre, helfend einzugreifen, umso mehr, als die Auslagen mit der Zeit bestimmt amortisiert worden wären. Die christliche Nächstenliebe musste man als junges Wesen von der schlimmen Seite kennen lernen.
Hausaufgaben hatten wir viele, aber sie waren für mich keine Qual. In der Freizeit halfen wir Kinder den Eltern, was eben möglich war; und je nach der Jahreszeit. Im Winter war unsere Hilfe bescheiden, aber rodeln und Eisbahnschleifen und die Schuhe strapazieren umso unbescheidener, nicht immer zur Freude der Eltern und der ältern Geschwister.
Im Sommer ging's in den Wald, Brechholz für den Winter zu sammeln, Beeren zu suchen, Fischen und Baden im Dorfbach, auch den Schwestern „Spüli“ machen für ihre Seidenband-weberei, Botengänge zur Übermittlung mündlicher und schriftlicher Berichte, die meistens von mir erledigt werden mussten und dann und wann ein kleines Trinkgeld eintrugen. Ausserdem suchten wir Buben Gelegenheit, ein paar Rappen Sackgeld zu verdienen; die Bauern liessen es geschehen, dass man ihnen die Mäuse in Wiesen und Feldern, soweit möglich, fingen. Für jedes Stück wurde 10 Rappen versprochen, aber nicht restlos bezahlt, denn: Heute noch hätte ich von unsern gut situierten Nachbarn Fr. 3.60 aus dieser ehrenvollen Tätigkeit zu gut.
Alljährlich wurde in Pfäffikon der „Maienmärt“ abgehalten; ein besonderer Festtag für die Kinder, auf den ich mich auch sehr freute, denn dann kriegte man seine Frs.3.60, dachte ich und könnte mit einem Teil davon mir etwas kaufen, auf dem See Schiffli fahren und in der Brauerei ein Bier trinken für 10 Rappen (das durften aber meine Leute daheim nicht erfahren) aber ach weh! Mein Geld erhielt ich eben nicht, was einen schweren Schlag aufs Haupte bedeutete und tiefen Eindruck auf mein kindliches Gemüt machte. Aber ich ging dann doch an den „Maienmärt“, wenn auch weniger gut bei Kasse.
∆ Bubenstreiche
Wenn die Welt oft als Jammertal hingestellt wird, so bleibt die Tatsache bestehen, dass wo Schatten ist auch Licht sein muss und umgekehrt. In der Jugendzeit war ich meistens dabei, wenn Streiche ausgeführt wurden. So rückten wir paar Knirpse eines schönen Frühlings-
morgens aus, das dürre Gras an einem Rain anzustecken, das bekanntlich nahe am Wald lag; es war windig und die gestohlenen Streichhölzer versagten, bis ich die Sache in die Hand nahm und dem Vorhaben die Krone aufsetzte. Im Nu brannte der ganze Rain und wir freuten uns unseres Werkes, aber bei Gott nicht lange. Männer im Dorf sahen die Gefahr und das Feuer konnte auf seinen Herd beschränkt werden. Dann aber kam die Belohnung. Natürlich war ich der allein Schuldige und dementsprechend von meinem älteren Bruder grässlich geschlagen, aber auch die „Mitarbeiter“ sollen ihren Teil abgekriegt haben.
Ein anderes Mal hatten wir 13-16-jährigen heldenhaften Gündisauerbuben es mit dem Pfarrer zu tun und das kam so:
Es war Herbstzeit und fast alle Buben hatten nebst andern Geheimnissen eine Anzahl Haselnüsse in den Taschen. Wir
sassen in der Christenlehre in der Kirche Russikon in den
hintersten Bänken. Zufällig waren wir an jenem Sonntag recht
früh am Platz und vergnügten uns, den vorderen Haselnüsse
Kirche Russikonan den Kopf zu werfen. Da auf einmal kam der Pfarrer würdevoll, mit vorgehaltenem Cylinder, zur Tür herein und eine Nuss klatschte in seinen Cylinder. Ein Blick, nach der Richtung hin aus der sie kam, sagte ihm alles. Erst nach dem Unterricht sagte er: die Knaben von Gündisau bleiben da! Ein Strafgericht brach über uns gut erzogene Gesellschaft aus. Das unanständige Benehmen, und alle Unarten die wir haben sollten, wurde uns vorgehalten und mit priesterlichen Ermahnungen (wurden wir) dann gnädigst entlassen. Die Nüsse aber mussten wir abliefern, die der Pfarrer vermutlich einen Buben schenkte. Wer aber glaubte, dass wesentliche Besserung eingetreten wäre, der irrt sich, denn nicht alle Jugendstreiche kamen ihm zu Ohren und es war auch nicht nötig, war er doch auch mal jung und wer weiss---?..
Wie auf Seite 3 bemerkt, sass ich in der Schule stets oben am Fenster und neben mir meine Kommilitonen: 5 Damen. Einmal hatten wir eine Prüfung zu lösen. (man benutzte damals noch viel die Schiefertafel). Bis die Mädels die Tafeln mit Lumpen und Spucke zum Rechnen in Stand hatten, war ich schon fertig und schnell wendete ich die Tafel und machte die Rechnung nochmals, aber absichtlich falsch, wohlwissend, dass es mir abgeschrieben wurde und zwar eines dem andern. Der Lehrer fragte nach dem Ergebnis, das natürlich falsch war, und rührend einheitlich lautete. Dann fragte er mich, und mein Ergebnis war ein ganz anderes, aber richtig. Nun überfiel den Lehrer heiliger Zorn und gab seiner Gesinnung schlagartigen Ausdruck auf die Wangen der erstaunten Studentinnen. Aber jetzt hatte ich's für eine Zeitlang verdorben bei ihnen bis --- sie wieder abschreiben mussten, und das dauerte nicht lange. ∆
Als 15-jähriger im Einsatz als Hilfs-Briefträger
Es ging die Zeit vorbei, bis das 15.te Lebensjahr erreicht war, und (ich) die Heimat verlassen musste und das kam so: Mein ältester Bruder Albert war in Rikon bei Effretikon verheiratet und ebenfalls wohnhaft. Der Briefträger des Ortes, Schmid mit Namen, wurde krank und musste, (da) seine Buben noch nicht in die Schule mussten, also seine Stelle nicht vertreten konnten, einen Ersatz beschaffen, der billig war. Dies klagte Briefträger Schmid meinem Bruder und letzterer holte mich für diesen Posten. Schmid, mein Meister, betrieb nebst seinem Amt etwas Landwirtschaft, hielt eine Kuh und 1 Rind und besass die dazu nötigen Ländereien. Man lernte mich ein und die Sache ging seinen geordneten Gang. Pünktlichkeit, speziell in Sachen Post, die meine meiste Zeit abforderte, war Grundbedingung, und vieles konnte gelernt werden und das machte mir Spass.
Was tat's wenn morgens um 5 Uhr das Bett verlassen werden musste, und, was den Postge-schäften auf der Station Effretikon um 7 Uhr den kleinen Briefträger erwarteten, das Vieh im Stall gefüttert werden musste und was dazu gehört. Schnell Morgenessen, die Ledertasche umgehängt und auf die Post tippeln, um ja nicht die Ein- und Ausladung der Postzüge zu versäumen, war regelmässig meine alltägliche erste Pflicht.-
Postbote um 1860
Denken wir an die Post, so steht der Briefträger im Vordergrund. An diese Vertreter des Postwesens wurden immer hohe Anforderungen gestellt: Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Hilfsbereitschaft waren die wesentlichen Faktoren. Weitere Beschreibung siehe Anhang
Das Postgebäude war ca. 10 Minuten von zu Hause entfernt Nachdem der Postbeamte die
Sachen sortiert, und das zu Befördernde mir übergeben hatte, ging's los, nach: Moosburg, Bisikon, Bietenholz und oft noch nach dem entlegenen Vogelsang.
Dann zurück wieder zum Postbüro, zum Empfang der Sachen für die 2.te Richtung d.h. Effretikon, Rikon, Grafstall, Kemptthal, Winterberg, Eschikon, Kleinikon (Weiler von Lindau), Lindau, zurück nach Hause, denn es war dann wenigstens 1-2 Uhr.
Kartenausschnitt mit den
Ortschaften für die Postverteilung
Folgt Mittagessen und diverse Besorgungen. Meine Behausung lag nächst der Bahnlinie Winterthur- Zürich. Der 4 Uhr Schnellzug war dann das Zeichen wieder auf die Post zu gehen für die Tur (Tour) Tagelswangen, und als Schluss noch wieder zum 2.ten Mal Effretikon, Rikon und unterdessen ist aber auch 7 Uhr geworden, abends oft noch später.
Fortbildungsschule und Christenlehre und Singschule mussten auch besucht werden, wenngleich die Absenzen, speziell Christenlehre betreffend, nicht selten waren, denn am Sonntag gab es keine Ausnahmen; aber der Pfarrer Frei in Illnau war unterrichtet und begriff die Sache. Das war so mein Programm und die Erfüllung war mir keine Pein.
Als Entgelt winkte mir Nahrung und Kleidung, über das nicht zu klagen war. Auch fiel hin und wieder ein kleines Trinkgeld ab, wann Pakete oder Geldanweisungen abgegeben wurden. Die Freigebigkeit liess vielerorts zu wünschen übrig, aber eine Verpflichtung lag ja auch nicht vor. Immerhin war stets eine Kleinigkeit in der Börse, die dann etwa für eine Mundharmonika oder eine alte Pistole oder ein Messer oder was dergleichen Jungens Bedürfnisse waren, ausgegeben wurden.
Auch die Landesausstellung 1882-84 (weiss nicht mehr genau)
durfte ich mit der Schule auf Kosten des Meisters besuchen.
(im Jahre 1883 in Zürich)
Landesausstellung 1883
Die Eröffnung des Gotthard-Tunnels ein Jahr zuvor bildete den historischen Rahmen für die erste Landesausstellung auf dem Areal des Platzspitz in Zürich. Den Besuchern wurde eine aufstrebende Industrienation präsentiert.
Weitere Details siehe Anhang
Plakat der Landesaustellung 1883
Unterdessen ist Briefträger Schmid wieder soweit genesen, dass er seinen Posten wieder allein besorgen konnte und mich, wie es ja ausgemacht war, wieder entliess. Begreiflich, hatte er doch wieder einen Esser weniger am Tisch. Beim Abschied sagte er zu mir: Das muss ich sagen, ehrlich bist du gewesen. Noch ist zu erwähnen, dass das Postwesen mir sehr gefiel, trotzdem mir damals viel Geld durch die Finger ging und oft in meiner Ledertasche umher trug, ist mir nie nichts begegnet.
Als Schulpflichtiger schon in einer Weberei…
Noch kommt ein Lebensabschnitt im noch schulpflichtigen Alter. Von Rikon verschlug's mich nach Pfäffikon in eine Weberei. Mein Bruder Jean (Johannes) war dort Weber, und benötigte Hilfskräfte zum Einfädeln der Nadeln, davon es für die Maschine ca. 2-300 bedurfte (weiss nicht mehr genau). Als Hilfe dienten meine Schwester Anna, dann eben ich. Das Fädeln erfordert kolossale Fingerfertigkeit und eine Anstrengung der Augen, so dass meine Sehschärfe soviel einbüsste, dass die Militärtauglichkeit (kaum) in Frage kam (doch davon später). Mein Bruder Jean bezahlte für mich das Kostgeld als Lohn. Diese Arbeit hat mir dann wirklich nicht zugesagt.
Während meiner Webereitätigkeit starb mein Vater an Magenschluss (Magenkrebs) im Alter von erst 65 Jahren.
Das Regiment übernahm die Mutter, der als Vormund Bruder Jean beigegeben wurde. Verschiedenes wurde anders, den Vater vermissten wir sehr, denn wie oft hatte er mit uns Kindern und der Mutter gesungen.
Wenn auch alle 10 Kinder in vielem verschieden veranlagt waren, in einem waren sie alle gleich: Alle hatten sie schöne Singstimmen und es geschah nicht selten, dass im Sommer bei schönem Sonntagswetter eine stattliche Zahl Bewohner bei unserem Hauseingang und auch drin, den
Schmidlin- und Nägelimelodien lauschten und oft mitsangen. Kinderzeit, selige Zeit.
Hans Georg Nägeli * 26. Mai 1773 in Wetzikon, Kanton Zürich; † 26. Dezember 1836 in Zürich war ein Schweizer Musikpädagoge, Verleger und Komponist
Er schuf vorwiegend Vokalmusik und war in seiner Heimat einer der Wegbereiter des Chorgesangs. Neben etlichen einflussreichen Lehrwerken verfasste er zahlreiche Liedsammlungen für Solostimmen und Chor. In seiner Tätigkeit als Verleger ist besonders erwähnenswert, dass er 1801 erstmals Joh. Seb. Bachs „ Das Wohltemperierte Klavir “
verlegte. Weitere Einzelheiten, siehe Anhang
Auf eigenen Füssen
Nun schrieb man die Jahrzahl 1884. Für mich die Zeit, die Kinderschuhe auszuziehen und für eine dauernde Beschäftigung mich umzusehen. Mein Wunsch Lehrer zu werden musste end-gültig begraben werden, aber was nun? Verschiedene Probleme wurden gewälzt und die Quintessenz, also das Beste was die Mutter und die älteren Geschwister aussuchten war: der „Heiri“ muss in die Fabrik, „Punkt“! Was wollte ich machen? Durch Fürsprache einer Schwester meines sel. Vaters, die überdies meine „Gotte“ war, fand ich dann Arbeit in der Spinnerei Neuthal bei Bäretswil.
Am 30. September 1884 trat ich in Arbeit und war im Spinnfach tätig in verschiedenen Fabriken 44 Jahre, was im Verlauf dieser Niederschrift unter Beweis gestellt und speziell beschrieben wird.
Der Einstieg ins Berufsleben in der Spinnerei Neuthal
Die grosse Baumwollspinnerei in Neuthal wurde als eine der ersten im Zürcher Oberland durch Joh. Rudolf Guyer und seinem Teilhaber Joh. Caspar Reinhart 1826 / 27 erstellt. Nach längeren Bildungsreisen in Länder mit Baumwollindustrien trat Adolf Guyer- Zeller 1863 in die Spinnerei seines Vaters ein und wurde 1874 ihr Alleininhaber. In Zürich gründete er 1869 ein Textil-Exportgeschäft. Später wandte er sich dem Eisenbahnbau zu, war Präsident der Schweiz. Nordostbahn und Begründer der Jungfraubahn und der Uerikon- Bauma- Bahn. Er war auch engagierter Politiker und sass als Liberaler im Kantonsrat. Von 1888 bis zu seinem Tod 1999 amtierte er als griechischer Generalkonsul in Zürich.
1945 wurden die Spinnereimaschinen verkauft und 40 Web-automaten in Betrieb genommen. 1964 kam das endgültige Ende der Fabrik, der Webereibetrieb wurde eingestellt. Heute Museum.
Spinnerei Neuthal
Fabrikleben welch ein Unterschied zu früher!!
Schon die Leute in den Sälen und das intensive, starke Gerassel der Maschinen, der Verkehr und die „hohe“ Bildung verraten den Umgang der Arbeiter unter einander: In diesem Milieu sollst du nun dich zeitlebens aufzuhalten haben, dachte ich. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier, man kann sich an vieles gewöhnen. Die einzelnen Verrichtungen bei der Arbeit sollen hier nicht erwähnt werden, wohl aber, dass es mir anfänglich sehr schwer fiel, mich in alles hinein zu finden. Gewissenhaft wurde die Pflicht erfüllt und die Fertigkeit wuchs an, und die Beschaffenheit der Maschinen erregte in mir grosses Interesse und bald reifte der Gedanken, mich in der Zuteilbranche empor zu arbeiten.
Es ist anzunehmen, dass die Meister mit mir zufrieden waren, denn schon nach verhätnismässig kurzer Zeit, brachte ich es zum Spinner und somit zu einem besseren Einkommen, was sehr not tat.
Bei meiner endgültigen Abreise aus der so trauten Heimat nach hier (Neuthal) bestand mein ganzes Vermögen in einem leeren Beutel, einer „Kluft“, von den ältern Brüdern abgelegt und meiner Postur (damals sehr klein) entsprechend her geschneidert, und in einem Paket noch einige Werktagskleidungsstücke. Trotzdem war ich stets guten Humors, der mich ein ganzes Leben, bis heute, wenig oft verliess und über vieles besser hinweg half. In dieser Situation befand ich mich und auf folgende Ostern stand die Konfirmation bevor, die eine vollständige Neubekleidung erforderte.
Meine Gotte stand mir Bürge für die erforderlichen Auslagen, und Zahltag für Zahltag wurde so gut mir möglich, die Schuld amortisiert, begreiflich also, dass der erwähnte Mehrverdienst willkommen war. Als die letzte Rate bezahlt werden konnte, stand schon das 19.te Lebensjahr vor der Tür. Elterliches Vermögen keines in Aussicht, da alle Geschwister das Erbe ausschlugen, unter der Bedingung, dass der jüngste Spross, Bruder Hermann, das Heimwesen samt den Lasten übernehmen dürfe, aber die alte Mutter zu betreuen habe bis zu ihrem Tode.
Als meine Schulden abbezahlt waren, konnte ich auch mit meinen Kameraden bei fröhlichen Anlässen mitmachen und bekam nach und nach so einen Einblick in's sittliche Leben. Vieles sah ich und erzählte man mir, was bis zu diesem Alter mir völlig unbekannt war, denn in meiner Heimat sah und hörte man nie ähnliche Sachen. Meine Kameraden lachten mich aus, schelten mich einen Simpel, wenn ich mich fernhielt und (ich) habe mich an die noch unverständlichen Mahnungen meiner Eltern von damals gehalten und bin standhaft geblieben.
Es soll nicht verschwiegen werden, dass mit zunehmenden Alter die Natur sich auch geregt hat, aber mein Schamgefühl hielt mich von Unsauberkeiten ab und dessen freue ich mich heute noch. Sollte dies angezweifelt werden, so wäre es an den heutigen Moralbegriffen gemessen zu verstehen, aber nicht's desto weniger göttliche Wahrheit.
Meine Freude am Gesang
Als sangesfroher Mensch wurde die Mitgliedschaft des „Hofer“ Männerchor erworben.
(Neuthal ist ein Ortsteil der Gemeinde Hof und diese wieder der Kirchgemeinde Bäretswil zugehörig). Der Männerchor bestand aus 12-15 Sängern, man darf sagen, alle waren sie sangeskundig und die meisten jung verheiratet. Im Winter veranstalteten wir Abendunterhaltungen, speziell (um) den Passivmitgliedern für ihre Beiträge etwas zu bieten, was immer ungeteilten Beifall fand, auch Besuch aus dem nahen Bauma und Bäretswil durften die Sänger meistens wahrnehmen. Gesang, Lustspiele, Couplets, Pantomine (und) Musikvorträge konnten wir auf's Programm setzen und nachher konnte man feiern. S'ist cheibe schön gsi.
Die gesanglichen Leistungen des kleinen Vereins standen aber denen des Sängerbund Bauma und des Männerchors Bäretswil nicht nach und man sprach vom Männerchor Hof voller Achtung.
∆ Im Männerchor Hof stand mein Sängereifer dem der andern nicht nach. Als Junggeselle war mein Logis bei meinem verheirateten Bruder der eine Violine besass. Diese Gelegenheit benützte ich und lernte das Geigen auch, aber ohne Stunden zu nehmen. Dadurch entwickelte sich mein Können ungefähr auf die Höhe, Lieder und nur sehr einfache Tänze leidlich zum Vortrag zu bringen und Notenkenntnisse zu erwerben. Der gesangliche und musikalische Eifer ermöglichten es mir, für alle gelernten Lieder im Männerchor (es waren nicht wenige) die Tonart auswendig zu wissen und selbst ohne Stimmgabel die richtige Tonhöhe zu finden.
Wenn nun damals zwei oder mehr (Personen) zusammen kamen, so wurde meistens gesungen, auch wenn der rechtmässige Dirigent nicht dabei (war), und so konnte dann meine angedeutete Gabe Anwendung finden. Man wurde Vicedirigent genannt.
Später, man war schon verheiratet und wohnte in Silisegg bei Bauma, beschlossen die Baumer Herren an einer Fastnacht ein internationales Musikfest zu mimen. Als notenkundig übertrug man mir die Leitung der „Hegnauer Stadtmusik“. Meine Gruppe zählte 6 Künstler von Ruf ??, aber sei's, wir trugen den 1. Preis (ein) bestehend aus 6 Servelat, verbunden durch eine entsprechende, tief zu herzensgehende Rede, des Kampgerichtes. Selbstverständlich musste solche Ehre gefeiert werden .
Auch machte der Männerchor von Zeit zu Zeit einen Ausflug mit und ohne lebendes Gepäck; so mal auf die Luziensteig, Ragaz, Einsiedeln, Uetliberg und Singen a/H. Wie konnte ich damals ahnen, dass dies meine ständige Heimat würde! Mehr der Hohentwiel interessierte die Teilnehmer als das Dorf Singen, was es damals noch war. Auf der Heimreise musste der Rheinfall noch dran glauben. ∆
Stadt Singen mit dem Wahrzeichen
dem Hohentwiel mit Festung
… wurde meine spätere ständige Heimat
Ich wäre so gerne Soldat geworden
In diese Zeit fiel meine Rekrutierung, die in Wetzikon stattfand. Wie alle jungen Burschen wäre ich auch gern Soldat geworden, aber es hat nicht gelangt, von wegen dickem Hals und der auf Seite 6 erwähnten verminderten Sehschärfe. Das war aber für die Eidgenossenschaft ein schwerer „Schlag“, und dafür musste Militärsteuer entrichtet werden; zum Ausgleich und als Ersatz für den, durch mich dem Staat verloren gegangenen, zukünftigen „General“. Denn unter diesem Rang wäre das Soldatenleben für mich eine Pein geworden und „s'wär so schön gewesen, s'hat nicht sollen sein“; dieser Geisterflug musste also auch zu dem Bisherigen ad acta gelegt werden und in's Reich der Fabel gehörend.
So gingen im Neuthal 51/2 Jahre vorbei; dann wurden per Inserat nach St. Ingbert bezw. Pfalz (Deutschland) Spinner gesucht. Firma Schuler Schmid Wetzikon war die Suchende. Anmelden + acceptiert werden ging schnell und jetzt war meines Bleibens in Neuthal ein Ende und warum? Mal fremde Menschen kennen lernen, mich im Beruf zu vervollkommnen und dem gesetzten Ziel vielleicht einen Schritt näher zu kommen, waren die Gründe.
Versuch, doch noch Pöstler zu werden
Unmittelbar vorher versuchte, erhoffte ich dem Fabrikleben zu entkommen, dadurch, dass ich mich bei der Kreispostdirektion Zürich, auf Anraten einer meiner Schwäger, um ein Pöstchen bewarb. Die Vorstellung und die Prüfung fielen befriedigend aus. bis----, ja bis ich bekennen musste, keine genügenden Sprachkenntnisse, entweder ital. oder frz. zu haben. Das schlug dem Fass den Boden aus und deshalb wollte ich fort, um mein Glück zu suchen.
Ich möchte es weiter bringen, und meine gesteckten Ziele erreichen
Die Spinnerei St. Ingbert in der Pfalz ist meine neue Hoffnung
Also fuhr ich 1889 nach St. Ingbert mit einem Koffer Hoffnungen und Phantasien. Wer aber glaubt, dort das Paradies zu vermuten, der täuscht sich. Die Hauptstrassen und Plätze waren wirklich städtisch, aber die Hinterhäuser mit ihren Abortverhältnissen redeten eine andere Sprache. Mein Logis erhielt ich beim damals amtierenden Spinnermeister Heidelberger (von Hochfelden bei Bülach gebürtig), dessen Frau ebenfalls Schweizerin war. Nette brave Leute, wie auch die Hausbesitzer. Die Spinnerei, neu gebaut, stand auf schönem Platz gerade an der Bahnlinie nach Zweibrücken. (in der Gegend Kaiserslautern). Das Arbeitspersonal bestand damals meist aus Schweizern und Elsässern und ein Teil ungelernte Einheimische. Die Spinnmaschinen die mir zugeteilt wurden, waren englisches Fabrikat (Ratt), aber speziell das Getriebe liess vor Schmutz wenig blanke Teile erblicken; doch nach einiger Zeit standen meine 2 Selfaktors da, wie es in einem ordentlichen Betriebe gang und gäbe ist, was mir dann den Neid meiner Nebenspinner eintrug. Dass meine Maschinen proper da standen, erweckte die Aufmerksamkeit meiner Prinzipale, aber den Sonntagmorgen, an dem mein Kostmeister Heidelberger, also mein Spinnermeister, Reparaturen vornahm, Riemen und Seile behandelte und ich ihn begleiten durfte, benutzte ich dann, um meine Maschinen gründlich zu putzen, ohne Entgelt natürlich. Diesen Vorzug hatten die Nebenspinner aber nicht, und hätten nach ihrer Veranlagung ihn auch nicht wahrgenommen. Denn auch dort liess Sitte und Moral zu wünschen übrig. Lieber sassen sie mit ihren Maitressen in den Wirtschaften oder sonst wo herum, sie hatten eben nicht mein Ziel vor Augen. Der Sonntag musste für Ablenkungen herhalten, weil 13 (dreizehn) Stunden täglich gearbeitet wurde und nach Feierabend jeder gern zur Ruhe ging. Auch dort hiess es standhaft sein und es gelang den Nebenspinnern nicht, mich zu verführen.
Die Baumwollspinnerei wurde 1855 von Max Schuler aus Wetzikon / ZH als erstes Textilunternehmen in St. Ingbert gegründet. Die Fabrikation der Baumwollspinnerei bestand in der Herstellung roher, einfacher und feiner Baumwollgarne und Zwirne, die später in Futterstoffwebereien, Strumpfwebereien, Nähfaden- und Spitzenfabriken, sowie Trikotagebetrieben weiter verarbeitet wurden.
Die einzelnen Arbeitsgänge erfolgten ausschliesslich maschinell. Im Schnitt produzierten 230 Mitarbeiter monatlich 35.000 kg Garn. Die Produktionsgebäude wurden im Laufe der Jahre mehrfach erweitert bzw. um- und rückgebaut. 1964 wurde die Produktion wegen der schlechten Ertragslage, ausgelöst durch die zollfreie Einfuhr billiger Garne aus dem Ausland, eingestellt. Der Gebäudekomplex ist 1992 unter Denkmalschutz gestellt worden.
Spinnerei St. Ingbert / Pfalz, Deutschland
Meine Kameradschaft war Heidelberger und Familie; auch waren Schweizer in der Fabrik die
sich eines anständigen Lebenswandels befleissigten. Von Heidelberger lernte ich beruflich etliches und wenn wir beide am Sonntagmorgen im Betrieb waren, kam nicht selten der Betriebsleiter Fabrikant Jean Schuler auch, und brachte dem Heidelberger die Berechnungen und das Ausziehen der Quadratwurzeln bei, in meiner Gegenwart. Das geschah auf dem Asphaltboden der Spinnsäle. Ohne Überhebung darf ich sagen, dass die Erklärungen von mir besser und schneller kapiert wurden und er daheim dann Nachmittags sich von mir wieder die Sache erklären liess, obschon mein Wissen punkto Berechnungen damals noch im Argen lag. Aber was ich gelernt und beobachtet hatte, das sass, und (ich) konnte es später gut verwenden. St. Ingbert war für mich kein Schaden. Die Firma stellte gelernte Arbeiter natürlich gerne ein und es kam vor, dass Spinner mehr waren als Plätze für sie. In diesem Fall erlaubten mir die Prinzipale, den Meister Heidelberger zu unterstützen, ich wurde sozusagen Vicemeister, also war schon ein Schritt zum Ziel getan.
Im Sommer mit den langen Tagen nahm ich die Gelegenheit wahr, andere Betriebe wie Schmelz, Drahtzieherei, Glas bezw. Flaschenfabrik, die stets mit Schichten arbeiteten zu besuchen, was von den Betrieben anstandslos gewährt wurde. Da konnte man den Werdegang der Bierflaschen, der Telegraphendrähte usw. beobachten. Wenn auch das Spinnereileben nicht zu den ange-nehmsten gehört, diese Belegschaften hätten eher Ursache zu klagen.
Auch befanden sich in St. Ingbert/Pfalz Kohlengruben. Sehr gerne hätte ich mich mal in so einen Schacht hinunterfahren lassen, bin aber mit meinem Wunsch nicht an die richtige Adresse geraten, denn der Mann (ein Steiger, also Art Meister) unser Mietsherr, getraute sich nicht, einen Freund einzuführen, der Gefahr halber. Meine Neugierde erhielt damit wieder einen Klaps, aber man kann nie wissen, vielleicht war's besser so; nehme es an.
Heimaturlaub - und in Neuthal hängen geblieben, aber nicht ohne Hintergedanken…
Unterdessen nahte die Pfingsten und da entschloss ich mich, wider mal nach der Heimat zu fahren. Am Bahnhof liess ich mir so eine Art Kilometerheft ausstellen für Hin und Her und kam dann wieder zuerst zu meiner Mutter nach Gündisau und von dort nach Neuthal. Man musste doch zeigen, dass man gereist ist und meine Blaubekleidung, vom Fuss bis zu Kopf, durfte sich auch sehen lassen. Materiell nicht weniger, aber die gesammelten Branchenkenntnisse waren ein wertvoller Besitz. Überall wo ich hinkam, riet man mir doch nicht mehr zurück zu fahren, in der Heimat finde sich sicher auch etwas Passendes für mich. Hier ist zu erwähnen, dass St. Ingbert, trotzdem persönlich von Niemandem beleidigt, aber seiner mir unbekömmlichen Rauchluft wegen, für lange Dauer nicht in Frage kam.
Zurück in die Spinnerei Neuthal…
Im Neuthal wurde zu jener Zeit ein Spinnerplatz frei und man bearbeitete mich derart, dass ich mich um den Platz bewarb und auch zugesprochen erhielt, aber für sofortigen Eintritt. Hab ich was Kluges getan, fragte ich mich? Dass ich den endgültigen Entschluss fasste, oder vielmehr warum, soll verraten sein. Es wurde schon damals ganz leise gemunkelt, dass der Spinnermeister nicht mehr ganz auf beiden Füssen stehe, von wegen--- Schürzenjägerei, da dachte ich mir, was ein Streber meines Schlages eben denkt und hoffte dereinst auf Erfüllung meines Wunsches. Aber es kam anders, davon später. Die Wiederaufnahme der Arbeit brachte keine besonderen Schwierigkeiten; das Personal war fast dasselbe, wie vor meiner Abreise vor 2 Jahren.
Unterdessen erfüllte sich das Schicksal des Spinnermeisters (Schoch), aber seine Stelle bekam ich nicht. Sein Nachfolger wurde ein Spinner, dessen Frau beim Stellvertreter des Prinzipals Zimmerdienst machte und es durchsetzen konnte, ihren Mann auf den Platz zu bringen. Also wieder falsch getippt! (Ich) merke Entmutigung, aber der Mann, Isler mit Name, war ja auch froh über seine Beförderung und es lag mir fern, ihn deswegen zu hassen, im Gegenteil, wir waren und blieben gute Freunde bis zu seinem Tod.
Die Mädels , die Mädels …
Ein Mädel kam mir in's Gehäge, das dann auch meine Ehegattin wurde. Unnötig darüber viele Worte zu verlieren, es trat eine Wandlung in meinem Leben ein. Nun hiess es sparen um die nötigen Mittel für's Heiraten zu sammeln. Das Logis hatte (ich) bei meinem Bruder Jean, der inzwischen nach Neuthal gezogen war und sich verheiratet hatte.
Die geselligen Anlässe wurden so viel wie möglich gemieden und jeden Sonntagnachmittag pilgerte ich zu meiner Liebsten, die bei ihren Eltern wohnte. Wenn auch ihr Vater eine bessere Partie lieber gesehen hätte, er liess nach, da weiterer Widerstand als nutzlos erschien. Mutter und Bruder waren mir besser gewogen. Es begann eine schöne, unvergessliche Zeit, in sittlicher und moralischer Hinsicht, wirklich einwandfrei. Was mir schier unmöglich schien, erfüllte sich. Meine Ersparnisse reichten mit der Zeit hin, um einen eigenen Hausstand gründen zu können, was dann auch zu gegebener Zeit geschah. (13.02.1894)
Nach meiner Verheiratung (1894) wohnten wir bei meinen Schwiegereltern, da keine Wohnung aufzutreiben war und für uns billiger zu stehen kam. Unterdessen, wie's ja meistens der Fall zu sein pflegt, wurde man Vater eines Jungen (Heinrich 1894).
Spinnerei Dietfurt SG sucht einen Saalaufseher…
Bald hätte (ich) die Hoffnung auf Beförderung aufgegeben, da wurde in der Zeitung ein junger Mann als Saalaufseher nach der Spinnerei Dietfurt gesucht. Was lag näher, als mich zu melden! Bewerbung fand Gnade und erforderte eine persönliche Vorstellung. Es traf sich gerade günstig, weil ich kurz vorher eine tipp topp Montur mir erstanden hatte und nun mich auch äusserlich zeigen durfte. Voller Freude und prall gefüllt mit allerlei möglichen Zukunftsplänen pilgerte man dann eines schönen Sonntags nach Dietfurt und meldete mich beim Buchhalter des Betriebes, Hirzel mit Name, der mich dann nach Lichtensteig wo der Prinzipal (Geschäftsinhaber) wohnte, begleitete. Die Vorstellung fiel zu meinen Gunsten aus diesmal, und der Eintritt und auch die anfängliche Bezahlung fanden Feststellung. Die Bezahlung war nur um ein geringeres besser als meine bisherigen Bezüge. Trotzdem der Verdienst für einen jungen Vater speziell einen wichtigen Lebensfaktor darstellt, für jenen Moment war für mich die Hauptsache der Aufstieg. Es lässt sich denken mit welchem Stolz ich die Sache meiner Frau und den Eltern vortrug. Noch höre ich meine herzensgute Schwiegermutter sagen: Heiri wotsch wirkli goh?, was mit einem ernsthaften Ja beantwortet wurde. Die Kündigung im Neuthal erfolgte und die Vorbereitungen für die Abreise wurden getroffen..
Die Freuden und Leiden eines Meisters
Gebäulichkeiten der ehemaligen Spinnerei Dietfurt SG
Als man in Dietfurt landete, galt die Jahrzahl 1895, meine ich. Eine neue Wendung den Beruf betreffend, stand im Begriff einzutreffen. Noch war man kein Meister, wenn auch ziemliche Kenntnisse der Feinspinnbranche vorhanden waren, das wusste man. Viel wird noch zu lernen sein! Wie werden die Menschen sich zu dir stellen und wirst du auch die Zufriedenheit deiner Vorgesetzten erlangen und viele andere Fragen beschäftigten mich, da es nun ernst galt. Voll Zuversicht und mutig begann die neue Laufbahn.
Natürlich liess man Frau und Bub zurück bei ihren Eltern. Unterkunft fand ich in Lichtensteig, so ca. 20 Minuten von der Fabrik entfernt, an der Strasse Dietfurt- Lichtensteig liegend. Es war eine Kostgeberei, davon Pensionäre (die) ausschliesslich Spinnereiarbeiter waren und der Inhaber bezw. Leiter war der Spinnermeister Martin Schnyder, verheiratet und Vater mehrerer Kinder.
Was die Spinnerei betrifft, so ist zu erwähnen, dass 30 Selfaktors (erste automatische Spinn-maschinen, siehe Anhang) mit den zugehörigen Vorwerken vorhanden waren.
10 Selfaktors bekam ich zur Betreuung.
Mein Vorgänger, den ich nie kennen lernte, soll auf diesem Posten 25 Jahre gestanden sein, warum er fort ging, vernahm ich nie, doch wird er seine Gründe gehabt haben.
Man machte mich nun mit der Art und Weise meiner Pflichten bekannt, und ich tat was ich konnte. Nun kommen aber Dinge an mich heran, die ich wohl früher schon zum Teil machen sah, aber nicht von mir selbst, und daher in der Ausführung nicht die Fertigkeit meines Vor-gängers besass. Dadurch entstanden den Spinnern längere unbezahlte Aufenthalte und verrin-gerten ihren Verdienst und sie fingen zu murren (an), manchmal deutlich vernehmbar. Man darf sein eigenes Können nie überschätzen, denn es rächt sich furchtbar. In der Ansicht, ein tüchtiger Spinner zu sein, musste (ich) dann doch einsehen, dass es noch viel Tüchtigere gab. Oft fühlte ich Reue diesen Schritt getan zu haben, aber mein Ehrgefühl befahl mir auszuharren und „Ran an den Feind“.
In der Tat schaffte ich mich ein, so dass nach geraumer Zeit meine Leistungen, neben denen der andern Meister, sich sehen lassen konnten. Damit war ich auf der Stufe angelangt, wo was Feinspinnerei anbelangt, sozusagen nichts mehr zu lernen war. Eine höhere Stellung in der Branche erforderte Kenntnisse der Vorspinnerei und davon hatte ich keine Ahnung. Was nun? Dann kam mir ein Gedanke!
∆ Nachdem die Leitung der Spinnerei Dietfurt meine Brauchbarkeit erkannte, drängten sie mich, die Familie herzuholen und wiesen mir, in Ermangelung einer bessern, eine Wohnung ganz unten an der Thur, wo Füchse und Hasen einander gute Nacht sagen, an; aber das Bemühen war umsonst, denn schon stand der Entschluss den Posten zu wechseln, unerschütterlich (fest). Ich konnte die Art und Weise, wie sie mit mir anfänglich umgegangen sind nicht vergessen und doch war diese Schule nötig, das musste ich später doch selber einsehen. ∆
Ich brauche eine weitere Ausbildung, oder muss die Stelle wechseln
Soviel mir bekannt war, bildetet die Weltfirma Rieter in Winterthur Interessenten für Vorwerk aus und als Mann rascher Entschlüsse wandte ich mich diesbezüglich an die Firma und zugleich, nachdem ich die Karenzzeit für Aufnahme in den Schweiz. Werkmeister-Verband absolviert hatte, trat ich dem Verein bei, nicht ohne Hintergedanken, der Verein unterhält auch heute noch ein Stellenvermittlungsbüro, worauf meine Hoffnungen ich setzte. Nachdem ich mich dem Vertrauensmann anvertraut und der Satzung gemäss Diskretion zu wahren hatte und ihn bat, mir für eine andere Stelle besorgt zu sein, tat er seine Pflicht. Meine bisherigen Zeugnisse waren vorzuweisen und über die zur Zeit innehabende Stellung Angaben zu machen. Nun war der Stein im Rollen. Es gingen Offerten ein von Reiden (im Kanton Luzern), aus Kollbrunn im Tösstal, und zu gleicher Zeit die Antworten von Rieter und von der Spinnerei Singen am Hohentwiel ein Angebot.
Rieter verlangten Fr. 300.- für den Kurs. Daneben waren die Verpflegung aus eigenen Mitteln zu bestreiten, geben aber das Versprechen mir, wenn die Voraussetzungen vorhanden wären, zu einer entsprechenden Stellung zu verhelfen.
Die andern Firmen antworteten in üblicher Form, machten Lohnangebote, die meine damaligen Bezüge nicht unterschritten, aber auch nicht wesentlich höher waren. Jetzt was tun? Fr. 300.- erlegen und ein halbes Jahr nichts einnehmen und dazu Kost bezahlen, war für meine damaligen Vermögensverhältnisse schlechthin untragbar. Meine Wahl entschied sich für Singen und den andern Firmen wurde höflich abgeschrieben. Rieter setzte (ich) zur Begründung meine Verhältnisse auseinander, was auch begriffen wurde.
Singen antwortete mir, dass jemand von der Firma mit mir persönlich unterhandeln wolle und zu diesem Zweck zu mir kommen würde, unter Angabe des Zeitpunktes und es war an mir, der Treffpunkt zu bestimmen. Gerade in dieser Zeit fiel ein Werk der Nordostbahn (aus), so dass die Zusammenkunft telegraphisch auf einen andern Zeitpunkt verlegt wurde.
Pünktlich traf der Herr (ein), den ich in die Bahnhofrestauration bestellte, die von der Fabrik aus, weil sie höher gelegen, frei dastand, somit gut sichtbar war. Die Wirtin wurde von mir unterrichtet, wenn ein Herr nach mir frage der mit dem 9 Uhr Zug komme, sie (mir) auf der Treppe einen Wink geben solle. Von mir aus wurde so wie so aufgepasst und das signalisieren klappte pfundig; fabelhaft!
Entgegen meiner Gewohnheit griff ich zu einer Unwahrheit und sagte meinen Obermeister, dass ein Bekannter auf der Durchreise ausgestiegen sei auf der Station, und mich sprechen wolle. Ob's geglaubt wurde wer weiss es, aber die Erlaubnis wurde erteilt. In meinem blauen Anzug (er war noch proper, weil erst Montag) stiefelte ich auf die Station und traf den Herrn, der kein geringerer war, als der Prinzipal selber. Eine imposante Persönlichkeit von Scheitel bis zur Sohle. Sofort liess er mich bewirten und nach einigen belanglosen Gesprächen bat der Herr die Frau Wirtin, uns für kurze Zeit das Nebenzimmer zu überlassen und dort kamen wir auf den Zweck des Treffens. Man schilderte mir die Gründe der ??? Personaländerung und den Betrieb als solchen und die Pflichten. Von mir aus wurden auch Fragen gestellt, offen und ehrlich, wie meine Einstellung von je her war, erklärte ich ihm, dass die Vorwerke mir noch fremd wären, nachdem ich hörte, dass mein Wirkungskreis mich, speziell was Berufungen anbelangen, dort hinein führe. Herr Trötschler, so hiess der Herr, erklärte kurz entschlossen, dann könne ich es ja lernen. Nun packte ich zu, denn das war Wasser auf meine Mühle und dann musste ich versprechen sobald als möglich einzutreten, lieber wäre es ihm gewesen, wenn ich gleich mit ihm käme, aber das ging ja schon des Zeugnisses halber nicht, was der Herr auch einsah und entlaufen wollte ich auch nicht, obwohl Dietfurt als dauernder Aufenthalt nie in Frage kam. Nun verabschiedeten wir uns, und ich musste nochmals das Versprechen abgeben, mein Wort zu halten.
Dies tat man unter der Bedingung, dass meine Frau auch damit einverstanden sein müsse und die wohnte noch immer bei ihren Eltern in Silisegg bei Bauma. Ihres Einverständnisses zum voraus sicher, hüpfte ich von der Station sofort auf das Fabrikbüro zu Herrn Hirzel, Buchhalter und weil es erst Montag war, vollzog ich meine Kündigung. Herr Hirzel war mir stets zugetan und versprach mir, nach Darlegung meiner Gründe, beim Prinzipal die Bestätigung der Kündigung zu empfehlen. Er sagte mir ferner, dass er mein Vorsatz nur gutheissen könne, denn ein Arancement (Arrengement) in Dietfurt sei auf absehbare Zeit ausgeschlossen; einem so fleissigen (und) pflichtgetreuen strebsamen Mann wolle er sein Fortkommen nicht erschweren, trotzdem die Spinnerei mich, nachdem ich so gut eingearbeitet, mich ungern verliere. Nur soll ich keinen Gebrauch von seinen Äusserungen machen, denn es würde ihm keinen Nutzen bringen.
Jetzt galt es meine Frau zu unterrichten, was aber erst geschah, nachdem Herr Hirzel mir die Bestätigung meiner Kündigung durch den Prinzipal Herrn Wirth mündlich mitteilte. Meine Leute waren einverstanden und Singen (habe ich) davon benachrichtigt, dass mein Eintreffen dort (vorläufig allein) am 30. März 1897 zu erwarten sei und von Singen die Kenntnisnahme mir schriftlich bestätigt wurde.
Nun durfte (ich) noch erleben, meinen Nachfolger bei seiner Vorstellung in meinem Saal zu sehen, in Begleitung des Obermeisters Erne; gesprochen habe (ich) nicht mit ihm, aber ver-nommen, dass er aus Kollbrunn komme, von wo ich ja auch eine Offerte erhielt; also wäre das bloss ein Tausch gewesen. Ob's besser gewesen wäre??
Die einzige Abwechslung im Gesangsverein…
∆ Auch in Dietfurt bestand ein Gesangsverein, dessen Mitglied ich wurde, aber es bestand nicht das ungezwungene Verhalten der Mitglieder zueinander, wohl aber waren die Leistungen sehr beachtlich. Sonstige fröhliche Abwechslung gab's keine als daheim im Logis (zu) jassen. ∆
Singen a./H. – Die letzte Stufe meiner Laufbahn.
Spinnerei Singen a. H. (Trötschler-Gelände)
Photo von Stadtarchiv Singen
Einige Angaben vom Stadtarchiv Singen über Inbetriebnahme und Einstellung der Spinnerei:
Am 29. April 1845 erwarb Friedrich (Friedolin) Trötschler aus Todtnau das Areal mit dem Walburgishof in Singen. Troetschler suchte schon einige Zeit nach einem geeigneten Platz für die Errichtung einer Baumwollspinnerei. Er entschied sich für den Standort Singen, vor allem wegen der Wasserkraft der Aach. Schon im gleichen Jahr (1845) begann er mit der Produktion. 1850 beschäftigte er bereits 70-80 Mitarbeiter beiderlei Geschlechts, meist junge Leute aus dem Ort.
1926 wurde die Singener Baumwollspinnerei GmbH von der Baumwoll-Spinn-und Weberei Arlen übernommen. 1927 wurde in Singen noch der Versuch gemacht, eine chemische Abteilung zu errichten. 1929 wurde der Betrieb wegen Unrentabilität endgültig eingestellt und aufgelöst.
Meine Arbeit in Dietfurt endete Samstag, den 28. März 1897. Mittags hörte ich schon auf, packte meine Siebensachen und nun Adieu schönes Toggenburg; nach Silisegg war der Sinn gerichtet, um am Montag der Schweiz, wer weiss, für immer Salut zu sagen.
Wiederum aufgepumpt mit Hoffnungen und Träumen langte ich nachmittags in Singen, meinem neuen Wirkungskreis, an. Es regnete bei meiner Ankunft; mich nach der Spinnerei durchgefragt, erfolgte Meldung auf dem Büro. Herr Kopp, Bürochef wies mir mein Logis an: Hauptstrasse 11 (Beamtenhaus) und nachher machte ich noch einen Gang durch die Spinnerei in Begleitung des Prinzipals.
Mein erster Eindruck war kein besonders guter, schon punkto Ordnung; aber man war nun mal da, hatte A gesagt und musste nun Be sagen und da der Mensch ein Gewohnheitstier ist, so gewöhnt man sich an vieles und es ging.
Die auffallende Unordnung liegt im Wesen einer Grobspinnerei begründet, und das war Singen eben. 11 Selfaktors, 3 Trosseln und die nötigen Vorwerke waren zu beaufsichtigen, fast durchwegs alte Maschinen, aber verschiedener Systeme. Rieter, Platt, Loed Brothers, Taylor Lang, Higgins Howard und Bullough, später noch Schlumberger und elsässische Machinenfabrik, also feine Sache!!!
Mit Hilfe dieser Selfaktoren werden die Vorfäden versponnen, die Fasern also verdrillt und damit zu einem Faden verfestigt. Ein Selfaktor besteht aus einem festen Teil und einem beweglichen Wagen, der die Spindeln trägt. Der Spinnvorgang gliedert sich in drei Phasen,:zunächst fährt der Wagen einige Meter (hier im Bild) nach rechts und spannt dabei Vorfäden zwischen festem Maschinenteil und den Spindeln auf. In der zweiten Phase rotieren die Spindeln, die leicht schräg stehen, so dass der Faden verdrillt wird, dabei aber oben von den Spindeln abrutscht und daher nicht aufgewickelt wird. Schliesslich werden die Fäden mit Metallarmen (der gebogene Arm im Vordergrund) an den Spindeln nach unten gedrückt und können nun nicht mehr über die Spindelspitzen abrutschen. Durch Rotation der Spindeln werden die Fäden nun auf- gewickelt, wobei der Wagen gleichzeitig wieder in seine Ausgangs-position zurückfährt. Siehe Anhang
Schon in (den) ersten drei Tagen kam eine Sendung Garn wieder zurück, weil zu viele verstopfte Bobinen vorhanden seien. Das betraf mich nicht, war aber eine stille, aber deutliche Mahnung und diese Dinge wiederholten sich auch einige Male. Dieser Fabrikationsfehler musste natürlich beseitigt werden und mit der Zeit war er auch endgültig weg. Es waren aber noch andere Unzulänglichkeiten zu beseitigen, wie z. B. das Akkordwesen. Die Lohnsachen sind im Büro bearbeitet worden, damals noch. Nicht selten standen am Zahltag 5-10 Arbeiter im Büro und reklamierten, denn der Lohn war klein, wie eben damals, und noch lange Zeit in der Textilindustrie. Nun steckte ich meine Nase auch mal ein bisschen ins Akkordwesen hinein und fand die Reklamation begründet und erklärte dem Prinzipal die Missstände, und versprach ihm, einen Tarif auszuarbeiten, was genehmigt wurde. Der Tarif bedeutete zwar keine wesentliche Lohnerhöhung aber doch eine gerechte Feststellung des Verdienstes. Auch in diesem Punkt wurde es besser.
Ein weiterer Missstand war der Personalmangel, der folgende Ursachen hatte: der geringe Verdienst, dann das Emporblühen der Maggiwerke, die, wenn auch damals noch nicht wesent- lich besser bezahlten, aber saubere Arbeit vergeben konnten, und drittens, weil unsere Firma eine Ringspinnerei erstellt hatte, und deshalb Personal benötigte. Wie führten wir den Kampf gegen dieses Übel? Meine Wenigkeit erhielt den „ehrenvollen“ Auftrag, Personal auswärts zu suchen, es brachte mich bei der Gelegenheit nach Eberbach a/Fils, nach Murhart bei Frauenfeld, ins Töss- und Aathal, aber nicht überall mit Erfolg; in Moosbach hätten sie mich verprügelt, wären sie meiner habhaft geworden, erzählten die Leute, die ich dort angelte. Nicht ich allein musste auf die Personaljagd, auch der Fabrikschreiner Dalbosea ein Südtyroler, fuhr ins Tyrol und Italien und brachte gelernte, aber auch meistens ungelernte, und was Qualität betrifft, zweifelhafte Elemente oft (mit). Die Personalsache blieb ein dauerndes Sorgenkind.
∆ Der Grund warum mein Vorgänger Schelling fort wollte, war, dass ihm in Derendingen eine ihm zusagende Stelle in Aussicht stand. Vor Antritt der Stelle wollte er sich noch recht erholen und meldetet sich krank, mit der löblichen Absicht, dem Herrn Trötschler, wie überhaupt allen andern zu zeigen, wie schlimm sie dran seien, wenn er nicht mehr da sei. Er litt ein bisschen an Grössenwahn, so sagte man mir. Gewiss kam Herr Trötschler dadurch in Verlegenheit und deshalb war ihm so daran gelegen, Ersatz zu schaffen.
Schelling soll's in Derendingen nicht so ganz nach Wunsch gegangen sein, denn nach kurzer Zeit kam er wieder nach Singen und trug vorübergehend dem Prinzipal seine Dienste an. Letzterer besprach sich mit mir und meine Antwort war sehr unzweideutig: Habe keine Hilfe nötig!
Es ist einmal so, dass jeder Nachfolger nach seiner Art schaltet und waltet, soweit er's darf, und wenn zwei dasselbe tun, so ist' s doch nicht dasselbe, denn viel habe (ich) anders gemacht als ich's angetroffen (habe) und nicht zum Nachteil. Sicher hätte Schelling vieles nicht nach seiner alten Gewohnheit gefunden und dem Herrn Tötschler die Ohren voll geklatscht, denn er hatte früher eine gute Nummer. Begreiflich, hätte ja der Prinzipal seinem früheren Meister gerne geholfen, vorübergehend durch Beschäftigung, aber ich winkte energisch ab, denn man lässt sich nicht gern in seine mit vieler Mühe hergestellten Ordnung hinein reden. Schelling fand dann in der Maggi Arbeit. ∆
Als im Juli 1897 die Wohnung meines Vorgängers frei wurde, nahm ich meine Familie zu mir. Wie wird sich meine Frau zurecht finden, da sie ja noch nie unter Fremden war und im Ausland gar nicht? Wird sie mir mit Heimweh in den Ohren liegen und dergleichen mehr? Nichts von alledem. Bis heute zeigte sie keine Sehnsucht nach Hause und das war mir eine Erleichterung. Der Erstgeborene (Heinrich) blieb auf Wunsch seiner Grosseltern zurück und wurde dort erzogen und zwar sehr gut. Doch niemals würde (ich) es mehr tun, denn die Eltern waren wohl da, aber die Anhänglichkeit litt darunter.
Photo von Stadtarchiv Singen
Photo Sofie Rebsamen- um 1930 Jahre
Hauptstrasse 11 Singen a./H
Beamtenhaus der Spinnerei
Wohnung Hch. Rebsamen im Parterre
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Eine neue Sitte, gratulieren am Neujahrstag
In Singen, speziell in der Spinnerei, bestand damals die Gepflogenheit, am Neujahrstag dem Prinzipal persönlich zu gratulieren; der Schlossermeister und Werkführer Greuter Vincenz, mit dem ich in guter Freundschaft stand bis zu seinem Tode, und der ein Schulkamerad des Prinzipals war und manches von ihm vernahm, was sonst nie mir zu Ohren gekommen wäre, machte mich auf das Gratulieren aufmerksam. Ein Wegbleiben, speziell der Prominenteren, wäre übel aufgefasst worden, und so unterzog ich mich der mir ungewohnten Sitte und tat ebenso. Jeder Gratulant erhielt ein Geldgeschenk, was dann seitens der Arbeiter im Deutschen Hof in Alkohol umgesetzt wurde.
Am 1. Neujahrstag erhielt ich 40 Mark, wofür dann als „dringendstes Bedürfnis“ eine Geige angeschafft wurde. Neugierig wie viele Leute sind, konnten sie heraus bekommen, dank unserer Offenheit, was ich gekriegt habe und der schon früher erwähnte Neid seitens des Vorwerk-meisters und seiner Frau war dauernd da. Später aber wurde nichts mehr gepfiffen über ähnliche Sachen.
Früher Tod des ersten Prinzipals
Mein erster Prinzipal Herr Trötschler starb schon nach ca. 4 Jahren. Wirtschaftliche Sorgen haben den erst 41-jährigen gefällt. Kenner der Verhältnisse behaupteten, er sei durch eine Verkettung ungünstiger Verhältnisse aber schuldlos, krank geworden. So habe er verneint, eine reiche Frau geheiratet zu haben, eine Fabrikantentochter Wolff aus Todtnau, aber statt Geld zu erhalten, (er) eine eingegangene Bürgschaft bezahlen musste. Nicht genug damit. Die Firma Allweiler, Radolfzell hatte ursprünglich geplant, ihr Geschäft in Singen zu bauen, der billigen Wasserkraft wegen. Dagegen protestierte Herr Trötschler mit der Begründung, er wolle seinen Betrieb vergrössern. Nun wurde ihm die Auflage gemacht, innert kurzer Zeit mit dem Bau zu beginnen und das geschah gerade dann, als ich in Singen eintraf, zu jener Zeit als Herr Trötschler noch voller Hoffnung war. Dann aber brach die Krise los. Er musste, statt Geld zu erhalten, die Bürgschaft von 80'000.- Mark erlegen, weil sein Schwiegervater in Konkurs geriet. Man stelle sich vor: Keine Mitgift, Bürgschaft bezahlen und dazu zum Bauen gezwungen vertraglich, da musste ein Mensch krank werden vor lauter Sinnieren. Es wurde gebaut, woher die Mittel gekommen sind hiefür ist egal, er war's einfach schuldig und das hat ihn zu Tode gedrückt. An einem Charsamstag fand die Beerdigung statt. Die Kirchenglocken durften Ritusgemäss nicht läuten bei den Katholiken, vom Hohen Donnerstag bis Ostersonntag morgen, an deren Stelle liess vom Kirchturm eine Knarre oder Rätsche eine „göttliche“ Melodie ertönen. Die Sache Trötschler betreffend vernahm ich vom schon früher erwähnten Schlossermeister Greuter, Trötschlers Schulkamerad (Seite 18).
Weil gerade von Beerdigung die Rede war, so sei bemerkt, dass ich bis heute noch manchen Verwandten und Bekannten die letzte Ehre erweisen konnte, aber auch 4 Erdenbürger aus der Taufe heben durfte.
Die grosse Arbeitslast zollte gesundheitlichen Tribut..
Meist (nicht) nur das allein(sein) machte einem das Leben sauer, auch die mir aufgebürdete Arbeitslast tat das ihrige, so dass ich nach einigen Jahren krank wurde und in ein Sanatorium vom Arzt aus geschickt werden musste, nach Friedrichsheim (heute Marzell, Kandertal) im Schwarzwald. Die Kur stellte mich wieder in Senkel, wie man so sagt und dauerte 3 Monate. Während dieser Zeit amtete ein Stellvertreter, Schartler aus Augsburg, ziemlich befriedigend. Das war 1903. Am gleichen Tag, als ich wieder nach Singen kam, ist der Vorwerkmeister Krumm aus dem Betrieb ausgetreten; wir hatten die letzte Zeit, bevor ich fort musste, berufliche Differenzen, und die übertrugen sich auch auf die Familien, denn wir wohnten im gleichen Haus. Auch der Neid auf uns „dreckige“ Schweizer, wie wir vernahmen, spielte eine Rolle. Nun musste der Posten wieder besetzt werden. Herr Direktor Wolff fragte mich, ob ich mir getraue die Vorwerke in Stand zu halten und zu überwachen und ich antwortete mit einem Ja und erhielt dann auch eine Hilfe.
Der ersehnte Wunsch ging in Erfüllung
Nun hatte ich erreicht was mein Wunsch schon jahrelang war, alleiniger Regent im Betrieb zu sein und nicht mehr unangebrachte Rücksicht auf den Vorwerkmeister machen zu müssen.
Er war ein fleissiger Mann (Krumm), pünktlich und zuverlässig, aber konservativ bis in die Haarwurzeln, was dann eben zu den schon erwähnten Differenzen führte. Im Interesse des Geschäftes, glaubte ich meine bis dahin gesammelten, praktischen Erfahrungen anwenden und auch durchsetzen zu dürfen und man liess mich gewähren. Natürlich sind auch meine Einkünfte gestiegen, doch an der Summe (von) Arbeit und Verantwortung gemessen, immer (noch) sehr bescheiden.
Die erwähnte Arbeitslast war bedingt durch den Bau und Instandsetzen der Ringspinnerei, ein Shedbau mit den zugehörigen Vorwerken; das alles stand unter meiner Leitung und (ich) hatte unterdessen 3 Untermeister zur Unterstützung erhalten.
So ungefähr habe ich den Spinnereisaal, in dem mein Grossvater gearbeitet hat, mit Transmissions-Antrieben der Maschinen, in Erinnerung
Der leere Trosselsaal, nach Betriebseinstellung
Gewiss manche Arbeit wäre mir erspart geblieben, wenn ich meinen Meistern mehr zugetraut hätte, aber ich meinte , nur wenn ich wichtigere Sachen nicht selbst mache, so sei es nicht ge-macht. Andere Obermeister waren nicht so dumm; sie konnten immer sauber im Betrieb ein-hergehen und ich sah meistens aus wie der gemeinste Taglöhner. Würde ich nochmals jung, anders würde die Sache begleitet.
Auch die Familie vergrösserte sich
Nicht nur diese Dinge vermehrten sich, auch der Zuwachs der Familie blieb nicht zurück. 3 Buben und 1 Mädel mussten erhalten und erzogen werden, also mein Herz, was willst du noch mehr.
Der 1. Weltkrieg
∆ Anfang des Krieges durfte man nicht mal bis zum „Schützen“ gehen ohne Ausweis. Nachts mussten Wachen gestellt werden in der Umgebung der Betriebe. Es traf mich auch einmal, einige Stunden den Fabrikpark zu bewachen, mit Revolver natürlich, aber nur einmal, dann beschwerte ich mich beim Prinzipal Ehinger, damals. ∆
Während des Krieges 1914-18 mussten die Leute mangels an Arbeit entlassen werden; so ca. 16 von den ältesten und besten waren notdürftig und unrentabel beschäftigt. Gegen Ende erhielten die Fabriken einige Rohstoffe, die von den Deutschen erobert werden konnten. Uns wurden 16 Sorten, meist Abfälle, zur Verspinnung zugewiesen. Es war anfänglich rein unmöglich auf den Karden ein zusammen hängender Flies (Vlies) zu bringen, bis auf Reklamation etwas mehr Baumwolle für die Mischung zugeteilt wurde. Monatlich war ein Rapport nach Berlin abzugeben und viele, viele Fragen wahrheitsgetreu zu beantworten, sonst--.
Also wir murksten zu, spannen ein Garn zum Gotterbarmen, alles auf Lager; 300 Kisten voll solcher Qualitätsware harrten des Versandes. Dann wurde abgerufen und Teilsendungen er-folgten eine nach der andern bis das Lager geleert war. Es war mir nicht ganz „vögeliwohl“ dabei und (ich) liess den Prinzipal nicht im Unklaren darüber. Aber nichts geschah punkto Reklamation. Nun fragte ich mal den Prinzipal, ob nie über unser Garn geschimpft worden sei? Im Gegenteil, Herr Rebsamen, gelobt haben sie. So sagte er wörtlich und (es) war mir ein Stein vom Herzen gefallen.
Nach dem Krieg lebte dann (die) Produktion weiter auf, allerdings mit regulärem Spinnstoff, ja es kam sogar zu Doppelschichten. Die älteren Maschinen (wurden) rausgeworfen und neue an deren Stelle gesetzt. Die Firma hiess eine zeitlang Trötschler und Ehinger, nach dem Krieg dann Spinnweberei Rottweil-Singen und zum Schluss nur noch Spinnerei Singen.
Für den Laien hat eine noch weitergehende Detaillierung des Arbeitsprozesses keinen Wert.
Das Schicksal schlägt zu, ein schwerer Unfall…
Dann kam das Jahr 1920, ein Schicksalsjahr. Auf einem Kontrollgang im Betrieb geriet ich in einem Nebengebäude der Spinnerei, unter dem Dach oben, auch schlecht beleuchtet, weil nur selten benutzt, in einem Raum auf eine morsche Stelle des ohnehin dürftig gelegten Bodens und fiel durch in den untern Raum und schlug mit dem Kopf auf eine dort stehende Decimalwaage. Aus meiner Ohnmacht erwacht, sah ich einige Leute bei mir stehen und schickte sie an ihre Arbeit, denn ich wusste noch nicht, was geschehen war, so wohltuend wirkt eine Ohnmacht.
Aber bald spürte ich den Pfeffer: Schwindel trat ein und dann verfügte ich mich nach Hause. Niederlegen und den Arzt rufen war das Nächste. Die Empfindungen zu schildern, unterlasse ich. Der Arzt Dr. Stadler und sein Assistenzarzt Zwiffelhofer waren froh, als wir ihnen unseren Entschluss, mich in meiner Heimat gesund pflegen zu lassen, mitteilten, sie taten gewiss das Möglichste aber mein Kopfweh wich nicht.
Also reiste ich als kranker Mann nach Neuthal zu Bruder Hermann, consultierte einen Arzt und hoffte auf Besserung; mein Zustand war bedenklich. Nach einiger Zeit fragte der Arzt, ob ich noch keine Besserung spüre, was ich leider verneinen musste.- Ja lieber Mann sagte er, er wolle es mit Elektrisieren versuchen, ob's aber helfe, wisse er auch nicht. Immerzu sagte ich und die Prozedur begann und bewährte sich tatsächlich. Nach Neujahr 1921 konnte ich meine Arbeit wieder aufnehmen, die durch einen Stellvertreter unterdessen weiter geführt wurde.
Mein 25-jähriges Arbeitjubiläum
Während meiner Abwesenheit hat sich die Spinnerei Singen mit der Weberei Rottweil vereinigt und im Jahr 1922, anlässlich meines 25jährigen Dienstjubiläums und auch einiger anderer Werksangehörigen, wurde die Betriebsverbindung gefeiert. Die Jubilare erhielten je eine Uhr, die „besseren“ eine Goldene und auch die wieder verschieden wertig. Der Uhrmacher taxierte meine auf einige 100 Mark. Bei diesem Anlass fiel mir die Pflicht zu, im Namen der Jubilare zu danken.
Golduhr als Geschenk zum
25-jährigen Dienstjubiläum
Was noch so alles passierte in den vielen Jahren…
Unsere Belegschaft in der Spinnerei war tatsächlich international. Vorwiegend Italiener, dann Oestreicher, Elsässer; Schweizer waren sehr selten. Dass das nicht die Elite der Gesellschaft war ist einleuchtend, obwohl auch sehr anständige, saubere und tüchtige Leute darunter waren, aber der grösste Teil aufsichtsbedürftig und undefinierbar.
So geschah es einmal, dass ein junger Bursche am Montag „Blauen“ machte. Im Verlauf des Vormittags kam er in die Fabrik, besoffen natürlich und belästigte und behinderte die Arbeiter im Saal. Mit höflichen Worten (denn das muss man solchen gegenüber) riet ich ihm heim zu gehen und auszuschlafen, was er dann auch nach allerhand schmeichelhaften Antworten tat. Nach kurzer Zeit kam er wieder; nach seinem Begehr befragt, antwortete er mir: „mein Messer hab ich vergessen! Ich ging mit ihm an seine Arbeitsstelle, er nahm sein Messer mit und öffnete die Klinge, während (ich hinten drein) wir aus dem Saale ins Treppenhaus treten. Dort stand ein anderer männlicher Arbeiter, und soll beobachtet haben, wie der Besoffene sein Messer auf mich zückte, aber er (es) ihm schnell aus der Hand schlug und den Held die Treppe hinunter beförderte ins Freie. Die Polizei wurde benachrichtigt und nahm den „Werner“, so hiess er, in Gewahrsam und er erhielt für seine Tat 2 Monate Gefängnis aufgebrummt. Diesem Mann hatte ich nie etwas getan, so wenig wie allen andern. Als er entlassen war aus dem Gefängnis, kam er scheint's wieder nach Singen und soll Drohungen auf mich geäussert haben, was mich dann bewog, eine Zeit lang bewaffnet an die Arbeit zu gehen. Doch es geschah nichts. Der Mann muss weggezogen sein.
Zweimal entstand ein Fabrikbrand, der zweite erforderte ausser der Stadtfeuerwehr noch die der Maggi. Gewaltige Mengen Wasser wurden in den Feuerherd geschleudert und die Unordnung kann man sich vorstellen. Eine Summe Arbeit war erforderlich bis die Sache in Ordnung war. Der Betrieb konnte doch aufrecht erhalten werden, weil der Brand in der Mischung durch Funkenschlag im Ballenbrecher entstand, aber so ganz ohne Störung ging's nicht ab.
Anders war es nach dem Kriege, als das Betriebsrätegesetz in Kraft trat (nach 1.Weltkrieg). Die Kommunisten waren am Ruder oder glaubten es zu sein. Jedenfalls bekam man ihre Ansichten zu spüren. Die Vorgesetzten aller Fabriken verwünschten das Gesetz zum Teufel. Wenn's den Herren Betriebsräten einfiel, beriefen sie Betriebsversammlungen (ein), oft sogar mitten im Tag, und liessen sich Beschwerden der Arbeiter vortragen. Der Obmann musste dann beim Prinzipal auf Abhilfe dringen, die aber nicht in allen Fällen erteilt wurde. Einmal war ich Zeuge, als der Obmann den Leuten erklären musste, nichts erreicht zu haben. Du bist ein Schafs…..l war der Dank für seine Bemühungen und (er) sich doch unter Tränen eingesetzt hatte für die gute Sache.
Heute sind in den Betrieben Obmänner, aber die Art und Weise ihrer Amtsführung ist eine ganz andere, weil neu geregelt und durchaus einwandfrei. ∆
Das Ende der Spinnerei…
∆ Dann kam der Zusammenbruch der Spinnerei. Herr Ehinger jun., der nach dem Krieg in Reutlingen die Spinnschule absolvierte, sich verheiratete und nach dem Tode seines guten Vaters (1916), die Leitung übernahm, liess sich überreden, eine Bastfaserspinnerei einzurichten. Die Einrichtung und der Bau hiefür kosteten ein grosses Geld.-
Er sagte zu mir wörtlich: Herr Rebsamen, wenn mein Vorhaben gelingt, bin ich ein gemachter Mann, wenn nicht, dann ruiniert. Diese Art Spinnerei war mir fremd und (ich) hatte auch nichts damit zu tun, aber der Erfolg blieb aus, aus welchem Grund entzieht sich meiner Kenntnis. Rottweil sah dies und zog sich zurück und nun sprang die Spinnerei Arlen bezw. deren Besitzer ten Brink ein.
Das sprach sich natürlich rum und so sagte ein Oeler, Gruber mit Namen zu mir: Passen sie auf, sobald ten Brink kommt, so dreht er dem Ehinger den Kragen um und zwar bald. So geschah es auch. Die alten Leute, darunter auch ich wurden abgebaut und die Spinnerei stillgelegt (1929). Die Firma erlosch und somit auch mein mir zuerkanntes Ruhegeld.
Das Gas- und Elektrizitätswerk erwirbt das Gelände
Das alte Elektrizitätswerk im Spinnereiareal
Photo von Stadtarchiv Singen a. H:
Das Gas- und Elektrizitätswerk erwarb das ganze Gelände und ich wurde von der neuen Firma übernommen. Nunmehr musste ich als alter Mann wiederum lernen. In der Zählerrichtstation fand ich Beschäftigung, die mir anfing zu imponieren, trotzdem ich das Mädchen für alles sein musste. Aber ich konnte bestehen bis zum 70. Lebensjahr (als dann) meine aktive Tätigkeit zu Ende war.
Das 40-jährige Dienstjubiläum und mein 70. Geburtstag
Ein halbes Jahr ungefähr vorher, nun ja am 30. März (1937) konnte mein 40jähriges Dienstjubiläum stattfinden. Geschenke kulinarischer Art erhielt ich, einen Polstersessel, 200 Mark in baar und eine Widmung von Herrn Ingenieur Schanzbach, das Fest betreffend und auf meine Führung. Meine Freude darüber war so gross, dass ich ein Fass Bier stiftete. Vom Direktor bis hinunter waren alle gekommen in den deutschen Hof, Herr Direktor Schuster stiftete auch noch ein Fass, so dass alle auf die Rechnung kamen.
An meinem 70.Geburtstag 7. Nov. 1937 erlebte (ich) noch eine Freude: Der ganze Betriebsstab kam persönlich in meine Wohnung und gratulierte mir. Gleichzeitig übergab mir Herr Direktor Schuster die zur Ruhesetzung (Pensionierung) auf 1. Januar 1938 bekannt, die schriftlich in Berlin ausgesprochen wurde, nebst Angabe der mir zugedachten Unterstützung und sonstige Begünstigungen. Mit Wehmut verliess ich dann meine Arbeitsstätte am Sylvester 1937 und trat den letzten Abschnitt meines Daseins an. Es sind unbeschreibliche Gefühle, die einen Menschen beschleichen, der ein ganzes Leben nichts als Pflicht kannte und dann ins passive Leben treten muss. Aber das Leben ist ja nur ein Traum und das Herrlichste: Mühe und Arbeit. ∆
So verging die Zeit und man wurde mit der Gelegenheit alt. Die Notizen über den Singener Aufenthalt bezogen sich bisher meistens auf die Berufsarbeit und es folgen noch sozusagen einige Bemerkungen über das private Leben, denn so eingeschränkt war man dann doch nicht, dass nur das erlebt werden durfte, was hier verzeichnet ist. Und somit kommt der letzte Abschnitt, der mehr das Privatleben betrifft.
Ergänzungen und Allgemeines
Der Griff zum Dirigentenstab..
Meine musikalische Begabung wurde bemerkt und (ich) wurde daher um die Dirigentschaft des kath. Arbeitergesangsverein ersucht und ich nahm an, aber nur für solange, bis ein Besserer gefunden sei. Es war ein kleiner Verein, lauter Arbeiter, aber nette Leute. Nun regten sich auch die Evangelischen und bildeten einen Arbeiterverein mit ebenfalls einer Gesangssektion; was lag näher, als mich dort anzuschliessen, trotzdem ich mich in keiner Weise zu beschweren hatte bei den Katholiken. Diese begriffen die Lage und schenkten mir als Anerkennung einen prächtigen, neuzeitlichen Barometer, eine nützliche Zierde meiner Behausung, heute noch.
Der Evang. Verein entwickelte sich sehr; alle waren Fremde, weil Singen ganz katholisch war, oder besser gesagt, anfänglich nur einige Evangelische zählte. Durch den Aufschwung der Maggi und der Fitting stieg deren Zahl und bildet heute eine Gemeinschaft von ca. 1200 Seelen.
Singen a. / H. in den 30er-Jahre
Foto Sofie Rebsamen
Nun zurück zum Gesang. Zuerst war es ein kleiner Männerchor, aber es mangelte an guten Tenören, deshalb beantragte ich die Gründung eines gemischten Chores und das Stimmen-verhältnis liess nichts mehr zu wünschen übrig.
Familienabende mit Gesang und Theater, die stets gut besetzt waren, auch von Katholiken, wurden arrangiert und der Verein hatte eine gute Note in Singen. Es entstanden mit der Zeit auch noch andere Gesangssektionen, alles wollte singen und so kam es, dass wir wieder Mitglieder verloren und nach und nach auf den toten Punkt gerieten. 6 Jahre habe ich jede freie Minute der Sache gewidmet.
Später gründete sich ein Schweizerverein, auch die wollten singen und brauchten einen billigen Dirigenten, den sie vorübergehend in mir fanden. Solange die Leitung unter mir stand, hatte die Sektion nächst 30 Sänger, aber verschiedener Stände.
Diese und jene Begebenheiten…
Noch einigen Erlebnissen soll Erwähnung getan werden. Wenn man im Alter von 72 Jahren steht, so ist's begreiflich, dass das Gedächtnis nicht mehr 100 %tig ist. Einzelne Begebenheiten fielen mir noch ein, deren Zeitpunkt nicht mehr genau bekannt ist.
Ein besonderes Kapitel ist die Inflation, darüber kann man sich kurz fassen: dass die meisten Leute davon betroffen wurden, ist bedauerlich, ändert aber nichts an der Tatsache, dass (die) Eltern ein schönes Häuschen hätten bauen und baar bezahlen können für den Verlust. Man tröstete sich miteinander, und sparte weiter.
Zum guten Ton gehörte vor 40 Jahren ein Fahrrad, natürlich ein Neues, direkt aus dem Rheinland bezogen, noch ohne Freilauf. (also mit Rücktritt). Der ganze Hegau wurde abge-klopft, Frauenfeld, Winterthur, Gündisau, Neuthal, (und) Silisegg gelegentlich besucht.
Das Radfahren hörte aber auf als der Krieg ausbrach, und man Mäntel und Schläuche (und nebenbei bemerkt das Kupfergeschirr) abliefern musste, gegen lächerliche Entschädigung.
Die evang. Kirchgemeindeversammlung wählte meine Wenigkeit als ihr Mitglied, das ich heute noch bin. Und diese hohe Ehre hatte (ich) sicher nicht durch fleissigen Kirchenbesuch damals erworben, sondern dem Umstand, weil ich Dirigent des evang. Arbeitervereins war. Heute bin ich fleissiger Kirchgänger und jeden Sonntag mit Mama (seiner Frau) dort zu finden, wenn nichts dahinter (dazwischen) kommt. Denn der Sonntag ist jetzt nicht mehr ein Ausruhetag, ruhen kann ich die ganze Woche hindurch genug. Auch ein Zeichen der Zeit !!!
Kaiserlicher Besuch auf dem Hohentwiel und die Kaisermanöver…
Im Jahre 1912 machte der damalige Kaiser Wilhelm II. in Begleitung des Fürsten v. Fürstenberg einen Besuch auf dem Hohentwiel; dass das für Singen ein Ereignis war ist eigentlich unnötig zu erwähnen. Ganz in die Nähe des Kaisers konnte (man) nicht kommen, aber aus kurzer Entfernung war er deutlich, den Bildern gemäss zu erkennen. Jagduniform, mit dem entsprechenden unvermeidlichen Hütchen mit Federn, und sein aufgezwierbelter Schnurrbart gaben ihm eine besondere Note. Natürlich per Auto, mit besonders auffallenden Signalen, erreichten sie das Gasthaus; es war das erste Auto, die diese Steigung bezwang, hiess es.
Kaiser Wilhelm II.
1858 - 1941, aus der Dynastie der Hohenzollern,
war von 1888 - 1914 letzter deutscher Kaiser und König von Preussen
Feldmarschall Hindenburg
1847-1934, war deutscher Militär und Politiker. Im 1. Weltkrieg Generalfeldmar-
schall und führte diktatorisch
die Regierungsgewalt aus.
2. Reichspräsident der Weimarer Republik, ernannte 1933 Adolf Hitler zum Reichskanzler.
Ungefähr um dieselbe Zeit wurden im Hegau Manöver abgehalten, es hiess, dass es in Hilzingen besonders interessant werde. In der Fabrik hatten wir gerade eine grössere Reparatur und der Betrieb stand (still). Schon um 7 Uhr strebte ich mit noch Andern Hilzingen zu. Vor uns her ritt ein älterer Offizier auch gemächlich seines Weges, der in der „Krone“ in Singen logierte. Und dieser Reiter soll Hindenburg, der spätere Feldmarschall, gewesen sein. Damals wog sein Name noch nicht so schwer und (es) wurde deshalb auch nicht viel Aufhebens gemacht.
Also wir gingen unseres Weges und suchten zwischen Katzentfahr Hof und Hilzingen eine Anhöhe auf, von der man das „Kriegsgelände“ übersehen konnte. Auf einmal kam vom Katzentfahr Hof her eine Gruppe Artillerie mit Kanonen her gesprengt und ehe wir uns versahen, befanden wir uns mitten drin. Die Geschosse (Geschütze) gerichtet und abgefeuert, dass die Erde zitterte; ich glaubte, der jüngste Tag sei angebrochen. Noch nie vorher und nachher stand ich bei einer feuernden Kanone. Ich glaubte, es waren ihrer 6 solcher Ungetüme. Gleich nachdem die Schiesserei aufgehört, zog die Kolonne wieder ab, denn von Weiterdingen her wurde ebenfalls geschossen. Das war mein einziges Manövererlebnis und vergesse es nie.
Noch drei andere fürstliche Persönlichkeiten sah ich von Angesicht: In St Jngbert, den damals regierenden Prinzregent Luitpold von Bayern;
Nachdem sein Neffe, König Ludwig II., am 9. Juni 1886 entmündigt worden war, regierte Luitpold als dritter Sohn von Ludwig I. zunächst für Ludwig II., nach dessen Tod für seinen geisteskranken Neffen Otto I. (Bruder Ludwigs II) als Prinzregenten und zählt damit zur Königslinie des Hauses der Wittelsbacher. Die eigentliche Herrschaft lag dabei jedoch bei den Ministern. Er war Prinzregent vom 10. Juni 1886 bis zu seinem Tod 1912
auf der Insel Mainau, den Grossherzog Friedrich mit Gemahlin.
Friedrich II. (1857-1928) wurde als erstes Kind des regierenden Großherzogs Friedrich I. von Baden und Großherzogin Luise geboren. Als letzter badischer Großherzog regierte er von 1907 bis zu seiner Abdankung im Jahr 1918. Seine Gemahlin Hilda (1864-1952), geborene Prinzessin von Nassau, war die letzte badische Großherzogin.
Dergleichen Persönlichkeiten erwecken in einem Schweizer besondere Gefühle; es mag aber ausgelegt werden wie man will: Unsere Familie und auch andere Schweizer hatten uns über Behandlung und Entgegnkommen nie zu beschweren.
Stenographie und Esperanto meine Lieblingsbeschäftigungen
Ein Beweis, dass mir schriftliche Arbeit behagte, ist darin zu erblicken, dass Stenographie auch zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehörte. Schon jung lernte ich (System) Stolze, dann (System) Stolze-Schrey und im Alter von über 60 Jahren die deutsche Einheitskurzschrift. Wohl wusste ich, dass es keinen Wert für mich habe. Lesen und schreiben konnte ich leidlich, aber ein Virtuos?? weit, weit weg davon entfernt. Übt man nicht immer, so ist alles bald vergessen.
Nicht nur Stenographie interessierten (mich), auch Italienisch wurde studiert, Dies war nötiger, denn unsere Belegschaft bestand vor 1914 eine Zeit lang aus 60% Italienern. Männlich und Weiblich, von denen ein guter Teil kein Wort Deutsch verstanden. Nach dem Krieg war das nicht mehr nötig und auch bald vergessen.
Dafür schwärmte ich für Esperanto. Nach Durcharbeitung eines Lehrbüchleins war ich in der Lage Briefwechsel mit einem Engländer zu pflegen, der verstand kein Deutsch und ich kein Englisch, aber durch Esperanto konnten wir uns verständigen. Harmlose Themen wurden be-handelt, die Familienverhältnisse geschildert usw. Nachdem wir nichts mehr zu erzählen wussten, hörte der schriftliche Verkehr auf, wie das Hornbergschiessen. Auch diese Mühe war umsonst und sie war kein Pappenstiel, und auch wieder in Vergessenheit geraten.
Das Hornbergerschiessen ist das Ereignis, das die Redewendung „das geht aus wie das Hornberger Schiessen“ hervorgebracht hat. Die Wendung wird gebraucht, wenn eine Angelegenheit mit grossem Getöse angekündigt wird, aber dann nichts dabei heraus kommt und ohne Ergebnis endet.
Ferien, Vereinsausflüge, Reisen und Wanderungen…
Natürlich hatte ich ja auch Ferien und dreimal verbrachte ich sie bei meinem Sohn in Odern (Oderen) im Elsass. Zweimal hatte ich Gelegenheit den Hartmannsweilerkopf zu besteigen, um den im Weltkrieg 1914 -18 heftig gekämpft und abwechselnd besetzt wurde. Man muss die Sache gesehen haben um sich ein Bild machen zu können, oder sich von berufener Seite schildern lassen.
Der 956 Meter hohe Hartmannwillerkopf (frz. Vieil Armand, dt. ursprünglich Hartmannsweilerkopf) ist eine Bergkuppe in den Südvogesen (Elsass, Haut-Rhin), nahe Hartmannwiller und Berrwiller.
Auf Grund seiner exponierten günstigen Lage mit Ausblick in die elsässische Ebene war der Hartmannswillerkopf im Ersten Weltkrieg zwischen Deutschen und Franzoisen äusserst umkämpft. Davon zeugen heute noch ein gut erhaltenes System von Schützengräben und mit Gras überwachsene Granatentrichter. Der Kampf um den Gipfel begann am 31. Dezember 1914 und dauerte bis September 1918 an, der Höhepunkt der Kampfhandlungen war zwischen 1915 und 1916. Insgesamt kamen etwa 30.000 Soldaten ums Leben.
Kriegerdenkmal Hartmannsweilerkopf
Zu Fuss auf den Säntis
Von Singen aus beteiligte ich mich an unseren Vereinsausflügen z.B. auf den Feldberg; auf den Rigi, nach Ragaz-Chur und tags darauf auf den Säntis. Die Aussicht auf dem Säntis war gleich Null, trotzdem wir beim Aufstieg von Wasserauen bis Maglisalp das prächtigste Wetter hatten. Dann aber stieg ein Nebel empor. Auf der Maglisalp steht erst der Säntis majestätisch vor einem und wir 5 Touristen liessen es uns nicht nehmen, trotz des trüben Himmels den Kerl zu erklimmen, hoffend auf Aufhellung, aber umsonst.
Der Säntis heute
Das alte Hotel
Die alte Wetterstation
und der neue Turm
In 2000 m Höhe lag noch stellenweise tiefer Schnee. Der Aufstieg ermüdete und (wir) waren froh, als wir die Wirtschaft, etwas unter dem Gipfel gelegen, erreicht hatten. 7 Stunden brauchten wir von Appenzell bis hinauf. Auf dem höchsten Punkt steht eine Wetterwarte und die musste doch auch besichtigt werden. Dort blies der Wind aber so stark, dass man sich an den Balken halten musste, aber Aussicht war keine. Neu gestärkt und heiter traten wir den Rückweg an, aber einen andern. In drei Stunden landeten wir wieder in der Krone in Appenzell und wurden mit Hallo empfangen.
Es ist ja klar, dass man vom Gebirge einen Strauss Alpenrosen heimbringt (selbst gepflückt natürlich) die in Appenzell gekauft werden konnten. Nicht alle Alpenrosen erreichten Singen, denn in der Bahn schlief man ein und beim Erwachen konnte man die freudige Wahrnehmung machen, dass nur noch Wenige vorhanden waren, und dass noch welche da waren, war die Hauptsache. Natürlich hat Niemand etwas von dem Verschwinden beobachtet, klar---. Die Säntisreise war noch nicht die Schönste von allen.
Die eindruckvollste Reise meines Lebens…
Es ist für einen Schweizer fast beschämend bekennen zu müssen, die Geburtsstätte der Schweiz. Eidgenossenschaft noch nie besucht zu haben. Diese Schande belastete mich bis weit in die 60, aber dann liess ich mich nicht mehr halten, als der Schweizerverein einen Ausflug nach dem Rütli beschloss. Auch meine Frau nahm daran teil. Bei schönstem Wetter fuhren wir an einem Samstag von Singen nach Luzern, dann per Schiff auf dem Vierwaldstättersee hinauf nach Brunnen. Dort wurde übernachtet und am Sonntagmorgen mit zwei Motorbooten hinüber nach Treib (gefahren). Dort begann der Aufstieg auf den Seelisberg. Überwältigend ist der Eindruck für Erstbesucher dieser Gegend. Er lässt sich nicht erschöpft schildern. Auf Seelisberg war Gelegenheit für Gottesdienstbesuch, während andere sich mit Kartenschreiben usw. beschäf-tigten. Ein Alphornbläser zeigte seine Kunst und es mutete anheimelnd.
Dann folgte der Abstieg aufs Rütli, zur Wiege der
Eidgenossenschaft. Natürlich stieg das Rütlilied
„Von Ferne sei herzlich….“ und offen gestanden nicht
ohne Gemütsbewegung. Begreiflich von Ausland- schweizern. Merktafeln weisen auf Ereignisse jener Zeit
hin.
Auf die Stelle, wo die drei ersten Eidgenossen den
Schwur getan, ist besonders hervorgehoben; alte Waffen
und andere Dinge sind zu sehen. Kurz und gut, es war
die schönste und eindruckvollste Reise meines Lebens.
Text vom Rütli-Lied siehe Anhang
Ein Ausflug ins oesterreichische Bregenz…
1937 reisten Tochter Sofie, die ihren Urlaub teilweise bei uns Eltern verbrachte, und ich mal nach Bregenz (damals noch österreichisch). Mit Bahn nach Konstanz und dann mit Schiff von der K.d.F. (Kraft durch Freude) zur Verfügung der zahlreichen Ausflüglern gestellt, hinauf bis Lindau. Viele Teilnehmer stiegen an den Haltestellen noch ein. In Lindau aussteigen und den Pass revidieren lassen, weil die Reise jetzt ins oesterreichische ging, und wieder einsteigen, war nun willkommene Abwechslung. Die Vorarlberger reckten stolz ihre Häupter, drüben im schönen Tirol, und man konnte fast nicht denken, dass noch weiter östlich politische Unruhen, hervorgerufen durch eine verblendete Regierung, herrschen könnten; aber es war Tatsache.- Politik soll aber dieser Schilderung fern bleiben. Bregenz selbst ist eine hübsche Kleinstadt und wenn man nicht wüsste, dass man eben in Oesterreich ist, man spürte es kaum.
Photo Sofie Rebsamen Bekanntlich führt eine Drahtseilbahn auf den Pfänder 1060m
hoch. So eine Bergfahrt wollten wir nicht versäumen und
stiegen ein. Es ist nicht zu verhehlen, ein bisschen kitzlig ist
es mir doch geworden, so zwischen Himmel und Erde an
einem Seil zu hängen, aber auch noch andern Mitreisenden,
was die geführten Gespräche in der nicht sehr geräumigen
Kabine verrieten. Angst zu haben ist überflüssig. Die
Drahtseile in der Nähe betrachtet, haben ganz anständige
Dicke und die Leitrollen, und was dazu gehört, sind
dementsprechend kräftig ausgeführt. Unter allerlei möglichen
und unmöglichen Vorstellungen langten wir oben an, aber
auch mit uns traf Regen ein.
Bei klarem Wetter muss da oben eine wunderbare Aussicht sein. Die Tyroleralpen, die Bündner-berge, und überhaupt die Schweizeralpen, der Bodensee, und noch anderes steht vor dem staunenden Beobachter. Nicht zu vergessen der gute Tyrolerwein, freundlich gekredenzt; es ist jedem Besucher von Bregenz bestens zu empfehlen, den Pfänder nicht zu vergessen. Bevor wir wieder abfuhren zeigte sich die Sonne doch noch. Unterdessen ist es auch abend geworden. Die Passstelle in Lindau musste wieder passiert werden, und dann fuhren wir durch das schwäbische Meer wieder Konstanz zu. Ein herrliches Alpenglühen zeigte sich auf der Schweizerseite für nur kurze Zeit. Auf dem Schiff wurde musiziert, getanzt, gesungen, es herrschte fröhliche Stimmung. In Konstanz gelandet, blieb keine Zeit; der Zug nach Singen stand schon fahrbereit und nach ca. einstündiger Fahrt war man auch dort. Es war wirklich auch ein schöner Tag. Freilich Reisen ist nur dann schön, wenn man angenehme Gesellschaft hat; Menschen mit denen man vernünftig reden kann und (man) nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen muss, und das hatte ich ja. Tochter Sofie reiste dann wieder ab und nahm ihre Pflichten in Basel als wohlbestallte Haushälterin wieder auf.
Im Allgemeinen ist das Häufchen, was sich Mensch nennt, ein unzufriedenes Geschöpf. Immer mehr schimpfen als loben, und alle lieben Nächsten als Sündenbock betrachtend und nur sich selber als vollkommen in der höchsten Potenz haltend, lebt er so dahin mit dem stolzen Gefühl: Was bin ich und kann ich noch werden! Jeder wird aber von Zeit zu Zeit ein bisschen gedemütigt, und das blieb auch mir nicht erspart.
Umso mehr erinnere ich mich auch fröhlicher Erlebnisse. Wie schon Seite 24 angedeutet, verbrachte ich dreimal meine Ferien, das dritte Mal mit Mama (seiner Frau) bei unserem Sohn (Willy) in Odern (Elsass) ein andermal in Bühlingen bei Rottweil. Warum dort? Damals gehörten Singen und Rottweil zusammen unter dem Namen: Spinnweberei Rottweil- Singen. Dadurch wurde ich mit dem Weberei Obermeister Engelmann bekannt und der lud mich in die Ferien ein. Das war 1921. So ganz vollkommen kuriert muss ich doch nicht gewesen sein von meinem Sturze her (siehe Seite ???). So richtige Freude erlebte ich nicht, wiewohl meine Gastgeber es an nichts fehlen liessen; nur in einem gesunden Körper kann unverfälschte Freude sich bilden.
Unvergessliche Ferien bei Sohn Willi in Aathal
Später 1938 konnte (ich) in Aathal (Ct. Zch.) bei Willi und Frau 10 schöne Tage erleben. Nicht allein deshalb, weil das junge Ehepaar mir nichts abgehen liess, aber auch gar nichts, sondern, auch die Gelegenheit gegeben war, meine engere Heimat wieder mal zu sehen und Orte aufzusuchen die viele Erinnerungen wach riefen. Der Pfäffikersee hat schon von je her unser kindliches Gemüt beeindruckt. Auf dem Tannenberg bei Gündisau konnten wir Kinder ihn (den Pfäffikersee) jeder auf seine Art bewundern, sah man dann vielleicht noch ein Schiffchen darauf, entstand heller Jubel. (Schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr). Nun mal in Aathal, so eine Viertelstunde vom See entfernt, hatte (ich) Gelegenheit mit Willi den See zu umwandern. Pfäffikon war der Ort, wo alljährlich „ Maienmärt“ abgehalten wurde. Dann im Verlauf der Tage wurde das bekannte Uster mit seiner Burg besucht, allein zwar, und wieder mal war der Greifensee mein Reiseziel. Gossau, Mönchaltorf, Wetzikon wurden nicht verschont, ebenso wenig Kempten und Robenhausen. Nicht vergessen soll sein der Ausflug mit Willi und Jdy, an einem Sonntag, über Pfäffikon nach Gündisau, Russikon, Fehraltorf, Seegräben, Aathal, alles zu Fuss; aber müde kehrte der Wanderer zurück. Es war immerhin eine beachtliche Leistung für einen 70jährigen Mann. Am letzten Samstag kam dann noch Mama (seine Frau) von Singen nach Aathal, um mal nach dem jungen Ehepaar zu sehen, und was sie beobachtete, befriedigte (sie). Am kommenden Montag reisten wir ab nach Neuthal zu Bruder Hermann und Jean (Johannes). Hermann war besser in der Lage uns für einige Tage zu beherbergen als Bruder Jean. In seinem eigenen Haus wohnte er allein mit Frau und Sohn und man braucht sich keinen Zwang anzutun der Nachbarschaft halber. Nachdem die überaus wichtigen Staatsgeschäfte in geheimer Sitzung erledigt und weltbewegende Beschlüsse gefasst waren, über die übrigens die Welt nie etwas erfuhr, verfügten wir uns wieder nach Singen.
Einen Abstecher machten wir nach Wila indem die Fahrt unterbrochen wurde, zu meiner älteren Schwester, jetzt Witwe und ihrer Tochter. Doch nicht lange währte der Besuch und fort ging's nach Winterthur zu Sohn Heinrich und Frau. Unerwartet schneiten wir herein, aber danach freundlich aufgenommen, und abends mit dem letzten Zug kamen wir in Singen an.
Besuch der Landesausstellung 1939 in Zürich…
Li. Plakat Landesausstellung 1939
Re. Lokomotive 10852, 1200 PS, Typ Ae 8 / 14
Detailbeschreibung siehe Anhang
1939. Der Schweizerverein veranstaltete einen gemeinsamen Besuch der Landesausstellung in
Zürich. Am 9. Juli stieg derselbe. Die Beteiligung ermöglichte einen Extrazug. Auch Nichtschweizer beteiligten sich zahlreich. Mama (seine Frau) kam auch mit und was man da in Zürich zu bewundern bekam, ist unbegreiflich, trotzdem die kurze Zeit vielleicht nur die Hälfte zu sehen erlaubte. Aber was wir sahen, erweckte Erstaunen. Besonders die Riesenlokomotive 1200 PS für die Gotthardbahn erweckte mein Interesse. Welche Unsumme von manualer und geistiger Arbeit liegt hinter dieser elektrisch betriebenen Maschine.-
Wahrlich die Schweiz darf stolz sein auf ihre Erzeugnisse.
Jetzt meine ich, dass alle Begebenheiten erschöpfend beschrieben wurden, soweit sie mich betreffen. Gewiss ist nicht alles interessant, aber der Vollkommenheit halber musste manches angeführt werden. Auch die Reihenfolge lässt bestimmt zu wünschen übrig.
Man beginnt selten etwas ohne einen bestimmten Zweck und der war in meinem Fall, wie im Vorwort angedeutet. Ausserdem wurde (ich) durch Sohn Willi dazu aufgemuntert.- Wenn ich nun jetzt mein Leben überdenke und das geschieht oft, so darf ich nicht behaupten, dass es mir schlecht ging, denn des Lebens ungetrübte Freude wird keinem Sterblichen zuteil. Wenn man sich seiner Mitwelt anzupassen versucht und nach dem Grundsatz lebt: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu, so kommt man bestimmt durch.-
Mit dem Kopf durch die Wand rennen wird nichts erreicht.- Gehen auch nicht alle Wünsche in Erfüllung, dann vergesse man nie: Was Gott tut ist wohlgetan. Es ist kaum denkbar, dass mir ein schönerer Lebensabend geblüht hätte, wäre ich Lehrer geworden.
Mit dem Gottvertrauen eben bei den jungen Leuten (ist es) leider schlecht bestellt; mit scheinbar überlegenem Lächeln starten sie zur Tagesordnung und leben in ihrer eingebildeten Aufgeklärtheit weiter, bis…, ja, bis sie sich nicht mehr zu helfen wissen in irgend einer Ange-legenheit und die Not sie dann beten lernt.
Ich bin stolz auf meine Familie…
∆ Meine Familie hatte sich unterdessen auf total 4 Kinder erhöht. Meine Frau fühlte sich wohl dabei, konnte sie doch schalten und walten nach Gutdünken und weil ich gut wusste, dass nichts unnötig ausgegeben wurde; es war ein Erbstück ihrerseits, und kam der ganzen Familie zu gut, denn ich war weitherziger. Geizig ist und war sie nicht, aber sparsam und das war gut. ∆
Alle 4 Kinder sind erwachsen und jedes hat eine Stelle, sich den Unterhalt zu verdienen. Der
älteste Sohn Heinrich lebt mit seiner Frau in Winterthur, kinderlos,
der zweite Sohn Willi ist in Aathal als Betriebsleiter in den Vereinigten Spinnereien tätig, ebenfalls kinderlos bis dato. Er hat das Metier seines Vaters als Beruf gewählt.
Ehemalige Spinnerei Streiff, Aathal
Schliessung des Spinnereibetriebes
2004
Die ersten Kenntnisse und Handfertigkeiten wurden ihm in Singen unter meiner Aufsicht beigebracht. Er wechselte dann über ins elektrische Gebiet, bis er sich auf Betreiben meines Prinzipals entschloss, wieder nach Singen zu kommen ins Spinnereifach, zwar nicht ohne Hoffnung, auf späteres Arancement und dereinstigen Übernahme meines Postens. Es war gerade in jener Zeit, wo man Allerlei munkeln hörte über Zweifel an der Aufrechterhaltung des Betriebes durch den jetzigen Besitzer, tatsächlich, was man nicht glauben wollte, geschah. Die Spinnerei wurde stillgelegt und kam dann zum Schluss in Besitz des Gas- und Elektrizitätswerkes Singen.
Von Sohn
Hch Rebsamen,
1894
existiert leider kein Bild
Eltern Sohn Willi 1898 Sohn Fritz 1899 Tochter Sofie 1900 Alle Bilder
Heinrich + Sofie 1930er Jahre
1867 1872
Rebsamen
Zugleich erhielt ich meinen endgültigen Abschied und anstatt wie einst versprochen, 60% des Gehaltes als Pension nur ca. 20%, allerdings dazu noch freie Wohnung. Das war eine starke Demütigung; doch das war noch nicht alles, denn es war zufällig auch der Zeitpunkt, auf den ich Willi versprochen hatte, die Spinnerschule Reutlingen besuchen zu dürfen, was ja auch
allerhand Kosten erforderte. Gemäss unserer eingewurzelten Sparsamkeit bedeutete dieses Zusammentreffen eine harte Aufgabe. Doch als rechter Mann musste man zum Wort stehen und wir sagten zu, und zu unserer Freude bestand er die Prüfung glänzend und hat ihm nach und nach zur heutigen, wenn auch nicht leichten Stellung, verholfen.
Sohn Willi als Student
Links mit Brille
Sohn Willi als Student
Reihe mitte, 2. von links
Fritz der dritte Sohn, ein Jahr jünger als Willi, hat auf eine kurze Zeit in der Spinnerei gear-beitet, aber die Arbeit sagte ihm durchaus nicht zu, und (er) wählte das elektrische Fach. Er erwarb sich vor der Handelskammer Konstanz den Meistertitel und ist dann nach etlichen Stellenwechseln im Kraftwerk Laufenburg gelandet, wo er sich dann auch mit einem Berner Mädel verheiratete und zur Zeit Vater zweier Buben ist. Mein Geschlecht stünde sonst nach menschlicher Berufung auf dem Aussterbeetat.
Kraftwerk Laufenburg
Als letztes kam dann noch zu unserer grössten Freude eine Tochter angewalzt und dann war's Schluss. Auch sie entwickelte sich zu einem brauchbaren Glied der menschlichen Gesellschaft, bezog nach ihrer Schulzeit verschiedene Stellen als Dienstmädchen, nach Absolvierung der Haushaltungsschule in Winterthur steht (sie) zur Zeit in Dienst in Basel.
Hotel Viktoria National, später Continental-Hotel, Basel
Arbeitsstellen von Sofie Rebsamen
1918-1922 Dr. Eugen Matthias, Dozent Uni, Zürich, Haushalt
1923 Hotel Pension Hirschen, Wildhaus, Zimmermädchen
1923-1924 Hotel Hecht, St. Gallen, Zimmermädchen
1925 Sommer Roseg Grand Hotel, Pontresina, Zimmermädchen
1925-1926 Buols Kurgarten Hotel, Davos, Zimmermädchen
1927-1928 Hotel Merkur Olten, Zi-Mädchen, Lingerie, Service
1928-1930 Bernh. Rieger, Webwaren, Singen a.H. Verkäuferin
1930-1934 Hotel Viktoria National, Basel, Zimmermädchen
1934-1945 H. Jenny- Fluhbacher, Basel, Haushälterin
1945-1957 Continental-Hotel, Basel, 1. Zimmermädchen
1957-1960 Konfektion Hch. Rebsamen-Inglin, W'thur Verkäuferin
1961- ? Bei Nachfolge von Hch. Rebsamen, neu: Galerie zum
Neumarkt (P.Stähli), später Tricot-Studio (J. Zureich)
Der 2. Weltkrieg, das Unheil naht…
∆ Was die Zukunft bringt wissen wir nicht, denn der Krieg 1939 beginnt ja erst. Schon fast zwei Jahre stehe ich im Privatleben und wir beide Eltern leben froh und genügsam dahin und dürfen uns unserer Lage freuen. Warum nicht? ∆
Derweil kam der unselige Krieg mit seinen Begleiterscheinungen, die nicht erfreulicher Art waren. Schweizerzeitungen wurden verboten, Radiosendungen aus der Heimat dergleichen, so dass man nur glauben musste was die deutschen Zeitungen brachten und niemand die Richtig-keit der Mitteilungen zu bezweifeln wagen durfte!! Die Propaganda lief auf höchsten Turen (Touren) und so kam es, dass das deutsche Volk und seine Verbündeten auf schiefe Ebene gerieten. Viele Deutsche sahen das Ende voraus und wehe denen, die aus ihren Herzen keine Mördergrube machten. Viele wurden „umgelegt“ doch mit des ??? Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten und das Unglück folgte schnell. Die Feinde der Deutschen vermehrten sich und Viele, die es nicht glauben wollten, mussten es (erfahren ?), Deutschland geht dem Untergang entgegen. Die Übermacht der Gegner ist zu gross.
Bombenangriff auf Singen 1944
Dann kam für uns Eltern der denkwürdige Weinacht heiliger Tag 25. Dezember 1944. Unzählige Male waren wir durch Alarm gezwungen den Luftschutzkeller aufzusuchen. Wie's so ist, machte (man) sich nicht viel mehr daraus, aber dann galt's ernst. Es war „furchtbar“. Die letzten Worte (die) ich noch zur Mutter (seiner Frau) sagen konnte, waren: „Jetzt ist's lätz“. Das Haus fiel zusammen und begrub uns Beide, überhaupt Alle, die in diesem Augenblick im Hause waren. Es war mittags ca. 2 Uhr und als ich wieder ans Tageslicht kam, abends 6 Uhr und wie?
Die Hauptstrasse in Singen nach dem Bombenangriff Aufnahmen vom ehem. Fotohaus Ott-Albrecht
Nach Mama (seine Frau) fragend, erfuhr ich nichts bis ich, nachdem schon 5 Tage im Krankenhaus liegend, der Bürochef des Gas-und Elektrizitätswerkes Singen, Herr Rüffert mir die niederschmetternde Nachricht persönlich brachte, dass er gerade von der Beerdigung der Opfer des Fliegerangriffs komme, zu denen meine Frau auch gehöre.-
Es ist mir unmöglich, den Schmerz zu schildern über die Nachricht. Am liebsten wäre es mir gewesen, man hätte mich auch begraben. Freunde und Bekannte aus Singen besuchten mich, aber eines freute mich besonders, nämlich als Fritz aus Laufenburg kam.
Gefühl unbeschreiblich!
Friedhof Singen
Links Ehrenmahl für die Gefallenen
und die Opfer vom Bombenangriff
1944
Rechts Einzelgrab von Sofie
Rebsamen-Rüegg
Man muss sich in meine Situation versetzen!... Nebst meiner Lebensgefährtin, die mir 51 Jahre treu zur Seite stand, noch Hab und Gut zu verlieren, krank und Verlassen im Spital liegend, nicht wissend, wohin in Zukunft mein Haupt zu legen; das sind wahrhaftig Dinge genug, missvergnügt, wenn nicht noch viel mehr, zu sein.
Noch einmal unter Lebensgefahr kam Fritz nach Singen und holte mich heraus aus dem Schlamassel und nahm mich auf in seine Familie und milderte meine trüben Gedanken. Wohin hätte ich können, wenn ich keine Kinder gehabt hätte? Auch die andern Kinder kamen, sobald sie von meinem Unglück erfuhren nach Laufenburg und sahen nach ihrem Vater, aber die Mutter durften sie nicht mehr begrüssen.-.-.-.
Es ist heute der 5. September 1946. Diese Niederschrift ist nicht das Werk einer ununterbrochenen Arbeit; sie wurde schon begonnen 1989 (richtig 1889) und Stück an Stück gesetzt.
Die letzten Jahre bei Sohn Fritz und Familie in Laufenburg
Bei Familie Fritz habe (ich) mich gut erholt dank der Fürsorge der Hausfrau (Päuly Rebsamen). Ohne Überhebung stellte ich fest, dass Päuly, Fritzens Frau, für mich mütterlich sorgt und ich hätte es nirgends besser haben können. Die Leute haben sich eine Last aufgeladen aber sie liessen (es) bis heute nicht spüren.
3 Generationen Rebsamen
Aufnahme 1948
Enkel Jörg & Rolf, Grossvater, Sohn Fritz
Päuly, der gute Geist
für die ganze Familie
Tochter Sofie kommt dann und wann mich besuchen aus Basel und ich bin schon einige mal dort gewesen und habe mit ihr und ihren Freundinnen und Bekannten fröhliche Stunden verlebt. Ich betrachte Sofies Freunde auch als meine. Bis dato habe ich wirklich nur Aufrichtigkeit und Entgegenkommen beobachten können und das tut einem alten Mann wohl. Hoffentlich bleibt diese Freundschaft bestehen.
Eine Begebenheit soll nicht vergessen sein: Am 27. August 1946 fuhr Fritz nach Singen, um Erkundigungen einzuholen in Sachen Rückwandererfragen. Jetzt hätte (ich) ja Gelegenheit gehabt auch nach dort zu fahren, aber mein seelischer Zustand riet mir ab, denn wenn auch der Anblick meiner einstigen Heimstätte mich übernommen hätte, von der Grabstätte der Mutter (seiner Frau) hätte Fritz mich schlecht weggebracht und diesen Schmerz wollte ich mir ersparen und das war gut so.
Gegen meine Weichherzigkeit kämpfe ich schon jahreweis an, aber umsonst, denn sie ist einer Mauer unwürdig. Aber ich denke, in diesem speziellen Fall wird man mich verstehen! Gibt es einen grösseren Schmerz, als das Liebste zu verlieren? Wir waren einander die erste und letzte Liebe, ich schäme mich nicht, das zu gestehen. Es ist auch dann und wann mal fortissimo gedacht worden, aber die Verzeihung folgte auf dem Fuss. Stets haben wir am gleichen Strang gezogen und etwas vor uns gebracht, das für Beide zugleich zu einem sorgenfreien Lebensabend gereicht hätte.
Mein innigster Wunsch…
Der Mensch hat ja viele Wünsche und mein Hauptwunsch ist, dass die Ehen meiner Kinder so verlaufen mögen wie die ihrer Eltern.
Letztes eingetragenes Datum auf Heftdeckel 06. III. 48
Zur Kenntnis genommen: Aathal 06. V. 1948 Willy, (am Schluss der Aufzeichnungen)
Erinnerungen von Enkel Rolf Rebsamen an seine Grosseltern
Heinrich und Sofie Rebsamen- Rüegg
Mein Grossvater Joh. Heinrich Rebsamen hat sich in der Spinnerei Singen a/H. bis zum Werkmeister empor gearbeitet und war ein angesehener Mann. Am 25. Dezember 1944 ( 2. Weltkrieg ) haben die Allierten Streitkräfte das Gebiet um den Bahnhof Singen a/H. bombardiert, wo meine Grosseltern wohnten. Bei Fliegeralarm haben sie sich in den Keller begeben, aber das Haus wurde beim Bombardement zerstört. Die Grosseltern sassen nebeneinander; beim Hauseinsturz legte sich ein Balken längs schräg über den Grossvater und rettete ihm das Leben. Grossmutter wurde vollständig verschüttet und erstickte. Sie ist in Singen a/H. begraben, im Gedenkgrab für die Verstorbenen des Luftangriffes Weihnachten 1944. Da Grossvater Schweizer Bürger war, erhielt mein Vater Fritz Rebsamen die Genehmigung, Grossvater Heinrich anfangs 1945 in die Schweiz zu holen. Grossvater lebte bis zu seinem Tode 1952 in unserer Familie in der Wasengasse 126 in Laufenburg. Als mein Vater in Singen a/H. eintraf (April 1945), wurde das Bahnhofgebiet wiederum bombardiert. Ein deutscher Luftschutzsoldat hat ihn in einen Luftschutzkeller gerissen, und ihm so das Leben gerettet.
Grossvater Heinrich war sehr musikalisch und spielte täglich Violine. Er hat dieses Instrument aus eigener Initiative gelernt und nie irgendwelche Musikstunden erhalten. Auch hat er jeden Tag einen 3-4 km langen Fussmarsch gemacht, war leutselig, und hatte immer das Gespräch mit den Bewohnern des Städtchens gesucht.
Die letzten 2 Jahre war er bettlägerig und wurde hingebungsvoll von meiner Mutter betreut. Die letzten Wochen seines Lebens musste er ins Krankenhaus Laufenburg in Spitalpflege gegeben werden, wo er am 10. November 1952 verstarb.
Meine Grossmutter war eine ruhige, arbeitsame und zurück gezogene Frau. Mir ist nur noch in Erinnerung , dass sie eine gute Köchin war und stets frisches Gemüse aus dem Garten auf den Tisch brachte. Der Garten lag direkt an der Aach und täglich gingen meine Grosseltern mit grosser Freude der Gartenarbeit nach. Sie hatten, wie man heute so schön sagt: „grüne Daumen“ .
Ein spezielles Erlebnis
Im Jahre 1937 oder 1938 verbrachte ich mit meinem Vater einige Ferientage bei den Grosseltern in Singen a.H. Die Reise ging allerdings nicht per Bahn von Laufenburg nach Singen, sondern in abenteuerlicher Weise per Fahrrad. Ich als Kindergärtler hatte ja noch kein Velo, mein Platz war hinter meinem Vater auf dem Gepäckträger. Damit es für mich etwas bequemer war, wurden am Velo zwei Füssstützen montiert, damit ich meine Beine aufstellen konnte. Auf dem Gepäckträger wurde ein Sitzkissen festgebunden. So radelte mein Vater von Laufenburg über Waldshut- Griessen bis Schaffhausen und von dort über Thayngen, Hilzingen nach Singen. So alle Stunde wurde ein Halt eingelegt, damit ich die Beine vertreten konnte. Das Reisegepäck wurde per Bahn befördert. Es war eine anstrengende Fahrt und ich war glücklich am Abend das Reiseziel erreicht zu haben. Auch für meinen Vater war es eine grosse Leistung, musste er ca. 70 km mit zusätzlichem Gewicht abstrampeln. Hut ab
Im oberen Stock meiner Grosseltern lebte die Familie Boll mit vier Mädchen. Mit diesen habe ich im Hinterhof des Wohnhauses stets gespielt. Ich war als Bub stets Hahn im Korb bei diesen Mädchen und als Schweizer etwas spezielles. Es ist mir sehr nahe gegangen im Bericht:“ 1944 Bombenangriff auf Singen“ zu lesen, dass 5 Personen dieser Familie ums Leben kamen. Auch meine Grossmutter musste, wie vorgehend erwähnt, ihr Leben lassen
Vier „ Mädelhaus“ Boll
meine einstigen
Spielkameradinnen
Kontakt der Enkel mit den Grosseltern
Im Juli 1943 waren mein Bruder Jörg und ich für 3 Wochen in einem Erholungsurlaub in Neu St Johann und haben unseren Grosseltern ein Ansichtskarte geschrieben. Aus welchen Gründen unsere Eltern uns zur Erholung schickten, sei es aus gesundheitlichen Gründen, oder der brenzligen Situation an der Grenze wegen des 2. Weltkrieges, wissen wir nicht mehr.Wir erhielten umgehend eine Postkarte von unseren Grosseltern in Singen mit untenstehendem Wortlaut:
Liebe Enkel Rolf und Jörg! Das ist schön von Euch, dass ihr an uns Grosseltern gedacht habt. Die schöne Ansichtskarte hat uns recht gefreut und danken wir dafür. Wir hätten zur Antwort auch eine Bildkarte genommen, aber es darf wegen des Krieges nicht sein in Deutschland nach der Schweiz. Nun es geht ja auch so, die Hauptsache ist, dass ihr Euch gut erholt und als brave Buben wieder zu den Eltern zurück kehrt. Aber seid dann den braven besorgten Eltern auch dankbar dafür. Helft ihnen was ihr nur im Stande seid und seid nicht unbescheiden in euern Wünschen. Vergesst nicht, wie Euer Vater von Morgens bis Abends streng arbeiten muss, um das Geld zu verdienen was die Familie braucht, und Eure Mutter sich plagt für Euch. Es werden nicht alle Kinder so gut haben wie ihr, tausende und noch mehr sind schlechter dran und dass ihr es so habt, habt ihr nur Euern braven Eltern zu verdanken.
Ihr dürft aber auch lustig und fröhlich sein, dafür lassen Euch die Eltern sicher noch genügend Zeit.
Im Schülerheim Johanneum werden, denken wir, ausser Euch noch andere Buben und Mädel sein. Seid anständig mit Ihnen und verträglich gegen Jedermann.
Wenn ihr den Säntis entdecket ?, so denkt daran, dass Euer Grossvater vor ca. 30 Jahren mal zuoberst auf dem Gipfel gestanden ist, mit andern Freunden, aber wir hatten wegen starkem Nebel keine Aussicht. Im Toggenburg ist's halt überall schön im Sommer, habe auch fast 2 Jahre in Dietfurt bei Lichtensteig gearbeitet, in Neu St. Johann war ich nie.
Also erholt Euch gut und sagt den Eltern einen schönen Gruss von uns wenn Jhr wieder in Laufenburg seid.
Lasst Euch grüssen von Euern Grosseltern in Deutschland! Wiedersehen.
Wenn Heinrich und Sofie Rebsamen ihre Enkelsöhne noch sehen könnten!
Von links
Ur-Enkel Rolf 1963, Enkel Rolf 1931, Ur ur-Enkel Marc 1983, Ur-Enkel Urs 1959
Aufnahme 2008
Anhang
1.) Reihen- und Flarzhäuser für die Armen
Die armen Kleinbauern und Heimarbeiter lebten in kleinen und kleinsten Wohnungen. Weil der Boden, auf dem gebaut werden kann, knapp ist, entwickelt man Raum sparende Bauweisen, etwa Reihenhäuser, in denen man Wohnung an Wohnung baute.Der häufigste Haustyp im Zürcher Oberland sind die Flarzhäuser. Sie bestehen aus mehreren Wohnungen, Scheunen, Schöpfen, Abort- und Schweinestallanbauten und wachsen im Lauf der Zeit organisch. Bei Bedarf werden die bestehenden Gebäude unterteilt und neuer Wohnraum zugefügt, was oft zu unhaltbar engen Lebensverhältnissen führt. So schreibt ein Zeitzeuge: "Es tuth mir weh, es öffentlich sagen zu müssen, dass ich bey diesen Anlässen manchen Menschen unter das Vieh herabgewürdigt sah, und dass ich auch unter diesen Familien einige sah, welche wehmütig wünschten, dass sie nur einmal in ihrem Leben dazu kommen möchten, mit ihren Kindern ein Winklein, so klein es auch immer wäre, allein bewohnen zu dürfen, um ihren Pflichten als Väter und Christen Genüge zu tun..."Flarz kommt vom Dialektwort "umeflarze" und bedeutet, sich nahe am Boden bewegen. Es ist also ein passender Ausdruck für die niedrigen und verwinkelten Häuser. Diese müssen nicht nur Platz für Wohnen, Essen und Schlafen, sondern auch für das Arbeiten bieten. Die Heimarbeiter nutzen in der Regel die Stube als Arbeitsplatz. Für die Arbeit benötigen sie gutes Licht, weshalb grosse, meist nach Süden gewandte Fenster typisches Merkmal von Heimarbeiterhäusern sind.
2.) Seit wann gibt es den Briefträger ?Denken wir an die Post, so steht der Briefträger im Vordergrund. An diese Vertreter des Postwesens wurden immer hohe Anforderungen gestellt; Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft waren die wesentlichen Faktoren.Maultierpost um 1900Anfangs des 19. Jahrhundert verschwanden nach und nach die privaten Postorganisationen und wurden durch kantonale Postbetriebe ersetzt. Im 19. Jahrhundert begann die Postbeförderung durch Postkutschen, welche auch Reisende beförderten. Mit dem Ausbau der Eisenbahnlinien Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Postbeförderung successive mit der Bahnpost durchgeführt. 1848 wurden die kantonalen Postbetriebe verstaatlicht und durch den Bund übernommen. Unter der Regie des Bundes wurde das Postwesen stark ausgeweitet. Bereits 1860 wurde der Geldeinzug durch Nachnahme eingeführt. 1862 kam die Postanweisung dazu und 1868 die Expresszustellung. Die Briefträger kamen immer mehr Aufgaben zu geteilt. Insbesondere mussten in den stärker überbauten Gebiete die Post mehrmals am Tage und an Sonntagen nach dem Gottesdienst zugestellt werden. 1900 wurde zBsp. in Ebnat-Kappel die Post im Dorfkreis fünfmal zugestellt und bis gegen 1980 wurde die Post im Dorfkreis jeweils am Vormittag und Nachmittag zugestellt. Abonnenten der Neuen Zürcher Zeitung, welche früher 3 Ausgaben pro Tag hatte, erhielten die 3. Ausgabe mit einer zusätzlichen Zustellung.( aus „d’r Briefmärkler“ - Ausgabe 3 / 2001 – Philatelistenverein Toggenburg-Wil,geschrieben von Dieter Weigle )
3.) Die Landesausstellung 1883
Die Eröffnung des Gotthard-Tunnels ein Jahr zuvor bildete den historischen Rahmen für die erste Landesausstellung auf dem Areal des Platzspitz in Zürich. Den Besuchern wurde eine aufstrebende Industrienation präsentiert. Viele Produzenten hielten sich allerdings unfreiwillig zurück, obwohl sie gerne ihre Entwicklungen und Erfindungen präsentiert hätten. Das Land kannte keinen Patentschutz. Jedes ausgestellte Stück hätte kopiert werden können. Dennoch trafen sich hier die Vertreter ganzer Berufszweige erstmals auf nationaler Ebene. Die Ausstellung in Zürich stand für die Gründung so manchen Berufsverbandes Pate.Gemäss offizieller Zählung wurde die erste Landesausstellung 1883 in Zürich durchgeführt. Weitere fanden 1896 in Genf, 1914 in Bern, 1939 in Zürich, 1964 in Lausanne und 2002 in Biel, Neuchâtel, Yverdon-les-Bains sowie Murten statt.In die Zeit des wachsenden Nationalismus wurde die erste Landesausstellung auf dem Platzspitz in Zürich durchgeführt. 1,75 Millionen Eintritte wurden für die erste Leistungsschau der Schweizer Industrie, des Gewerbes und der Landwirtschaft verkauft.Der Bund nutzte die Ausstellung, um auf die Bedeutung der Schulen aufmerksam zu machen. Noch ein Jahr zuvor erlitt er bei der so genannten Schulvogt-Abstimmung eine schwere Niederlage. Schulsubventionierung, Stipendienwesen und wissenschaftliche Forschung wurden erst über Ergänzungen zur Bundesverfassung geregelt.1883 wehrten sich viele ländliche Regionen gegen eine positive Darstellung der Schulpflicht. Schliesslich wurden die Ergebnisse der Rekrutenprüfung veröffentlicht. Die Rekruten aus Basel, wo die Lehrer zehn Mal mehr verdienten und vor kleineren Klassen unterrichteten als im Wallis, schnitten entsprechend besser ab, als ihre Kollegen aus dem Bergkanton.An der Landesausstellung waren keine ausländischen Produkte zugelassen. Es handelte sich um eine rein schweizerische Leistungsschau. Neben der Pflege des noch unterentwickelten Nationalbewusstseins ging es in Zürich um Verkauf und Handel. 6000 Aussteller kamen.Gerne hätten die Besucher mehr über die Exportzahlen der Textil- oder der Uhrenindustrie erfahren. Doch der Mangel an statistischem Material war offenkundig.Eine Teilnahme an der Landesausstellung barg für gewisse Aussteller aber auch ein Risiko. Denn eine Jury benotete Produkte und kritisierte ganze Branchen. So schrieb sie beispielsweise, die Landwirtschaft, die Seidenindustrie und das Kunsthandwerk genügten den Anforderungen der Zeit nicht mehr. Die Landesausstellung war die Initialzündung zur Gründung zahlreicher nationaler Branchenverbände, wie etwa der Verband Schweizer Presse oder der Verein Schweizer Gastwirte.Mit der Eröffnung des Gotthard-Tunnels ein Jahr zuvor, wurde das Tessin näher an die Schweiz gebunden. Die Landesausstellung erwies dem südlichen Landesteil besondere Referenz.Der Erfolg am Berg beflügelte übrigens neue Visionen. In Zürich wurde ein Projekt präsentiert, dass die Schiffbarmachung der Schweiz vom Genfer- bis zum Bodensee zum Ziel hatte.Quelle: http://www.expo.02.c/
4.) Hans Georg Nägeli (1773-1836) /Johannes SchmidlinNägeli wurde 1773 als vierter Sohn des Pfarrers Hans Jakob Nägeli in Wetzikon im Zürcher Oberland geboren. 1772 war dort Pfarrer Johannes Schmidlin verstorben, welcher in seiner Gemeinde ein reiches Musikleben ins Leben gerufen hatte. 1755 hatte er eine Singgesellschaft gegründet, die sich jeweils nach dem Sonntagsgottesdienst zu den Proben versammelte und 1768 ein Musikkollegium, das die Instrumentalmusik pflegte.Ferner hatte er 1752 ein Liederbuch «Singendes und spielendes Vergnügen reiner Andacht» publiziert, welches rasch eine grosse Verbreitung fand, Lieder daraus fanden sogar im Engadin in rätoromanischer Übersetzung Eingang in handgeschriebene Liederbücher. 1768 erschienen seine «Schweizerlieder» auf Texte von Johann Caspar Lavater, die sich über die Schweiz hinaus in ganz Deutschland verbreiteten.Als Achtzehnjähriger, eröffnete Nägeli eine Musikalienhandlung mit Leihbibliothek und 1793 einen Musikverlag, den ersten der Schweiz. Das Programm des Verlags umfasste Lieder und Instrumentalmusik für verschiedene Besetzung.Mit dem 1805 gegründeten «Zürcherischen Singinstitut» legte er den Grundstein zur Chorbewegung, die über die Zeit fast jedem Ort der deutschen Schweiz seinen Männerchor bescheren sollte. Anders als sein Freund Friedrich Silcher in Tübingen war er allerdings der Auffassung, die Volkslieder seien ein minderwertiges Gesangsgut, das durch edlere Chorwerke ersetzt werden müsse. So kam es, dass in den Chorliedersammlungen, die später durch A.Heim herausgegeben und in Millionen von Exemplaren in der Schweiz und Deutschland verbreitet wurden, wohl deutsche Volkslieder in Sätzen von Silcher, aber kein einziges Schweizer Volkslied zu finden sind.Etwas überspitzt muss deshalb Nägeli, dem der Ehrentitel «Sängervater» verliehen wurde, auch der weniger vornehme eines «Totengräbers des Volksliedes» gegeben werden.
5.) Erläuterungen zur im Text erwähnten Spinnereimaschine:
Selfaktor
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die (auch "der") Selfaktor (engl. Selfactor) war eine Weiterentwicklung der Spinnmaschine Spinning Mule. Während bei Spinning Mule die Steuerung der Maschine von Hand erfolgte, konnte die Selfaktor vollkommen automatisch arbeiten. Lediglich zum Ansetzen der gebrochenen Fäden und zum Wechseln der Kopse war Bedienpersonal nötig. Diese Entwicklung war im besonderen Maße schwierig, weil das Spinnen mit der Spinning Mule ein abgesetztes Verfahren darstellte und vom bedienenden Arbeiter ein besonderes Maß an Fingerspitzengefühl für das Verhalten seiner Maschine erforderte. Die technische Lösung des Problems lag in einer geschickten Steuerung sämtlicher aufeinander folgender Bewegungsabläufe der Maschine durch Zahnradgetriebe und Kupplungsvorgänge über die antreibenden Transmissionen.
Technische Zeichnung einer Selfaktor mit ausgefahrenem
Selfaktor- Maschine Wagen
Selfaktor beim Aufspulen Selfaktor beim eigentlichen
Spinnen
Notwendig wurde die Weiterentwicklung von der Spinning Mule zur Selfaktor durch die immer größer werdende Abhängigkeit der Fabrikbesitzer von qualifizierten Arbeitern, die die Spinning Mule bedienen konnten. Allerdings wurde durch die Selfaktor das Problem nicht gelöst, denn ihre Wartung, Einrichtung und Pflege musste ebenfalls von außerordentlich gut qualifizierten Arbeitskräften vorgenommen werden.
Bemerkenswert an einer Selfaktor sind die vollständig mechanisch gehaltenen Regelkreise und ihr mit Hebeln, Kurvenscheiben und Zahnrädern „geschriebenes“ „Programm“.
Hauptbestandteile der Selfaktor
Die Selfaktor besteht aus zwei Hauptbaugruppen: Einem stehenden Streckwerk und einem auf Schienen geführten beweglichen Wagen. Das Streckwerk besteht aus einer Halterung für die aufgespulten Lunten, dem Vormaterial beim Selfaktorspinnen. Lunten sind mehrere Millimeter breite Vorgarne, welche fast keine Festigkeit aufweisen. Die Spulen mit den Lunten befinden sich zuoberst auf der Maschine. Das eigentliche Streckwerk befindet sich gleich darunter. Es besteht aus Walzen und Gummibändern, welche die Lunten in die Länge ziehen.
Vom Streckwerk werden die Fäden zu den Spindeln geführt. Die Spindeln bestehen aus einem drehbaren Dorn und darauf aufgesteckten Hülsen, Kopse genannt. Die Spindeln werden angetrieben und führen dazu, dass die Fasern zwischen Streckwerk und Spindeln verdreht werden – das Garn entsteht.
Arbeitsweise der Selfaktor]
Die Selfaktor arbeitet abgesetzt, sprich diskontinuierlich. Mehrere Prozesse folgen zeitlich gestaffelt:
Ausgangslage: Der Wagen befindet sich beim Streckwerk, das Garn ist aufgespult. Der Wagen beginnt, vom Streckwerk weg zu fahren während das Streckwerk verzogenes Vorgarn bereitstellt. Die drehenden Spindeln verdrehen das Vorgarn zum Garn, gleichzeitig findet noch einmal ein Verzug statt, da der Wagen schneller wegfährt als das Streckwerk Vorgarn liefert.
Am Ende der Schiene hält der Wagen an, das Streckwerk stoppt und die Spindeln auch. Ein zwischen Bügeln gespannter Draht wird von unten angehoben, er spannt den Faden und hebt die obersten Umwicklungen um die Spindeln ab.
Ein zweiter zwischen Bügeln gespannter Draht kommt von oben und zieht das Garn zwischen dem ersten Draht und dem bereits aufgespulten Garn nach unten. Das zu einem Z gespannte Garn verlässt die Hülse nun tangential.
Jetzt setzt die Rückwärtsbewegung des Wagens ein, gekoppelt mit drehenden Spindeln, die so das gesponnene Garn aufspulen. Die Geschwindigkeit des Wagens ist so mit der Spindeldrehzahl gekoppelt, dass die Fadenspannung zwischen Streckwerk und Kopsen konstant bleibt. Damit nicht alles Garn am selben Ort auf die Kopse gespult wird, bewegt sich zusätzlich der zweite Draht langsam nach unten, das aufgespulte Garn wird über eine gewisse Breite verteilt.
Zeitliche Einordnung
Die Selfaktor wurde anfangs des 19. Jahrhunderts fast gleichzeitig mit der Ringspinnmaschine erfunden. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Selfaktor vollständig von der Ringspinnmaschine und der neu aufkommenden Rotorspinnmaschine verdrängt. Der Selfaktor wurde ihre diskontinuierliche Arbeitsweise zum Verhängnis: diese begrenzt die Produktivität, verkompliziert den Prozess und führt tendenziell zu periodischen Dick- oder Dünnstellen im Garn. Ungeachtet dessen war die Selfaktor für die Zeit ihres Aufkommens ein großer Fortschritt.
Aus dem Internet kopiert Januar 2009
5.) Landesausstellung 1939 in Zürch
Die Ae 8/14 waren elektrische Lokomotiven der SBB, die vor allem am Gotthard eingesetzt wurden. Es wurden nur drei Vorserien-Lokomotiven gebaut, wovon jede anders konstruiert war.Die Nr. 11852 war eine Weiterentwicklung der Nr. 11851. Während das Laufwerk und die Antriebe der 11851 entsprach, wurden sie mit einem neuen Leichtbaukasten in für die damaligen Zeit futuristisches Stromliniendesign ausgerüstet. Die Lokomotive stellte zugleich auch einen Leistungsbeweis der Schweizer Industrie dar, der von den SBB an der Landesausstellung 1939 ausgestellt wurde. Von daher rührt auch der Spitzname Landi-Lok. Mit einer Stundenleistung von 8'170 kW war sie lange Zeit die «stärkste Lokomotive der Welt» und bis heute die leistungsstärkste Lokomotive bei den SBB. Im Betrieb stellte sich jedoch bald heraus, dass sich die Zugkraft der Lokomotive nicht voll ausnutzen liess, weil sonst die Zugvorrichtungen der Wagen rissen (siehe auch Zughakenlast). 1971 erlitt die Lokomotive bei einer Fahrt durch den Gotthardtunnel einen Kabelbrand und wurde dabei so stark beschädigt, dass eine Reparatur nicht mehr in Frage kam. Die Lok wurde optisch wieder aufgearbeitet, ist aber nicht betriebsfähig. Sie gehört der Stiftung SBB Historic. Wenn das Verkehrshaus Luzern mit Platzproblemen zu kämpfen hat, ist diese Ae 8/14 im Freien, neben der Eisenbahnlinie Immensee–Luzern, anzutreffen.
5. Dort stöhnte des Tapferen StimmeTief unten im grausen Verliess.Dem bübisch im lüsternen GrimmeDer Zwingherr die Gattin entriss.6. Dort weinten und seufzten die Waisen,Sie hatten die Mutter nicht mehr,Sie lag beim Tyrannen in Eisen,Den Vater durchbohrte der Speer.
7. Es nannte die heimische HeerdeNur leise der Hirte noch sein;Denn wüsst`es der Zwingherr, er würdeGleich sagen, die Heerde ist mein.8. Hier standen die Väter zusammenFür Freiheit und heimisches Gut,Und schwuren beim heiligsten Namen,Zu stürzen die Zwingherrenbrut.
1. Von ferne sei herzlich gegrüsset,Du stilles Gelände am See,Wo spielend die Welle zerfliesset,Genähret vom ewigen Schnee.2. Gepriesen sei, friedliche Stätte,Gegrüsset, du heiliges Land,Wo sprengten der Sklaverei KetteDie Väter mit mächtiger Hand.3. Da blickten in nächtlicher StilleSie jammernd auf Vaterlands Noth,Und sahen wie Jammer die FülleVollbringe der Willkühr Gebot.4. Nur trauernd hinglänzten die SterneAuf Berge und sumpfiges Ried,Verstummet war nahe und ferneDes Kühers erfreuliches Lied.6) Die Reise auf das Rütli Das Rütli- Lied von Franz Josef Greith
9. Der Schimmer der Sterne erhellteNur düster die schlummernde Flur,Als rächend zum HimmelsgezelteEntschwebte der heilige Schwur.10. Und Gott, der Allgütige, nickteGedeihen zum heiligen Schwur;Sein Arm die Tyrannen erdrückte,Und frei war die heimische Flur.
11. Drum, Rütli, sei freundlich gegrüsst;Dein Name wird nimmer vergehn,So lange der Rhein uns noch fliesset,So lange die Alpen bestehn.
7.) Ein Zeitzeuge berichtet:
1944: Bombenangriff auf Singen
Rund 60 Jahre nach Kriegsende hat der Heimathistoriker und Autor Wilhelm Josef
Waibel für die Kundenzeitung SEEseiten in der Ausgabe 02/2005 eine Chronik der
schrecklichen Ereignisse aufgezeichnet. Besondere Aktualität erhält der Bericht durch
die Wiederentdeckung des Stromschreibers von 1944.
Protokoll des Todes - Bombenangriff auf Singen an Weihnachten 1944
Wenn man Kriegsereignisse, auch den Bombenkrieg des 2. Weltkrieges, sehr anonym
darstellt, in dem man weitgehend auf technische und militärische Fakten zurückgreift, dann
dürfte man die Bombenangriffe auf Singen eigentlich kaum erwähnen.
Betrachtet man das Geschehen aber anhand der
menschlichen Schicksale, der Toten, der
Schwerverletzten, der Hinterbliebenen, dann spielen
der Gesamtumfang und die technischen Fakten eines
Angriffes keine Rolle mehr.
Aus diesem Blickwinkel habe ich auch die Angriffe auf
Singen betrachtet, die im Oktober und November 1944
und im April 1945 stattfanden. Der schlimmste Angriff
spielte sich ausgerechnet am Fest des Friedens, am 1.
Weihnachtsfeiertag 1944 ab.
Die modernen Informationsmöglichkeiten machen es
heute möglich, von solchen Angriffen selbst die
Einsatzrapports einzusehen, die alle Details enthalten
bis hin zur Beschreibung der teilnehmenden Flugzeuge
und die Namen der eingesetzten Piloten.
Im “Final Mission Report Nr. 436” aus dem US-
Headquarter der 320th Bombardement Group sind
alle Einzelheiten dieses Bombardierungsauftrages
dedailliert beschrieben, wie z.B. Ausgangsbasis für den Angriff, Name des Flugkomman-danten, Abflugzeit der Bomber in Dijon, Art und Anzahl der eingesetzten Flugzeuge, Flughöhe, Flugwetter, Zahl und Art der abgeworfenen Bomben.
Aus diesem Grunde liegen speziell zu dem Angriff an
Weihnachten 1944 sehr gute Informationen vor, die es mir
auch möglich machten, mit einem der US-Piloten, einem
heute 82jährigen, noch Briefwechsel darüber zu führen.
Speziell zu diesem Umfeld liegt ein schreckliches
Dokument beim Gas- und E-Werk Singen vor: Der Strom-
schreiber des beim Angriff getroffenen Umspannwerkes
direkt an der Eisenbahnbrücke in der Hauptstraße
(heute Parkplatz Radio Stengele) legt gedrucktes Zeugnis
ab vom Moment der Katastrophe, die auch den Tod des dort
Dienst tuenden E-Werk-Mitarbeiters Albert Greuter forderte: Ein Protokoll des Todes.
Diese Spannungsaufzeichnung endet exakt um 14:20 Uhr am ersten Weihnachtsfeiertag; lt. “Final Mission Report” der US- Air Force erfolgte der Bombenabwurf exakt um 14:20 Uhr
aus 10 000 Fuß Höhe.
Und aus dem Abschlussbericht der US Air Force ist auch eindeutig zu entnehmen, dass der
Angriff nicht den Fabriken sondern der Eisenbahnbrücke gegolten hat.
Während im Einsatzbericht der 320. US-Bombergruppe am Ende des Protokolls der Satz
steht: “Ein ausgezeichnetes Muster von Bomben bedeckt das Ziel!“ - herrscht im Umfeld der
Eisenbahnbrücke und im südlichen Teil der Hauptstraße nur noch Tod, Zerstörung und Angst. Die Bomber fliegen zurück nach Dijon und in Singen beginnt sofort die Suche nach
Angehörigen: 37 Tote, darunter mehrere Kinder, sowie 58 Schwerverletzte. Ganze Familien
werden ausgelöscht oder stark dezimiert, auch kleine Kinder sterben, andere kommen mit
dem Schock davon. So sterben in der Hauptstraße 11 allein fünf Mitglieder der Familie Boll
zusammen mit noch fünf anderen Bewohnern dieses Hauses. Der Keller der Bäckerei Jäkle,
Hauptstraße 18, war als Luftschutzkeller ausgewiesen, aber eine Bombe fiel direkt auf den Backofen, drückte diesen in den darunter liegenden Keller. Von den 27 Personen, die sich
dort aufhielten, kamen fünf ums Leben, vier davon waren Kinder, darunter Ingrid, die Tochter
des Bäckermeisters. Der damals 13 Jahre alte Schüler Helmut Klaiber, ein Bruder des
Singener Sportamtsleiters Alfred Klaiber, war an diesem Tag aus der Südstadt bei seinen
Großeltern zu Gast, die dicht bei der Eisenbahnbrücke eine Landwirtschaft betrieben. Der
Luftdruck schleuderte den Jungen auf die Bahngeleise; er wurde dort tot aufgefunden.
Während die US-Bomber wieder nach Dijon zurückkehren, werden in Singen die Verletzten
und die Toten geborgen. Unter ihnen auch der damals 46jährige Albert Greuter aus der
Gartenstadt 90, der an diesem Tag seinen Dienst im Umspannwerk an der Eisenbahnbrücke
mit dem Leben zahlen musste: Der Spannungsschreiber dokumentiert seine letzte Minute:
14.20 Uhr! Die Opfer des Angriffs werden im Enzenberg-Schloss aufgebahrt. Bezeichnend
für das damalige System ist übrigens, dass die Bombardierung Singens an Weihnachten 1944
mit keinem Wort in der Presse erwähnt wird
Ich habe selbst als Zehnjähriger diesen Angriff auf Singen miterlebt: Unvergessen!
Doch hierzu mein Erlebnisbericht, den ich vor Jahrzehnten schon niedergeschrieben
habe:
Kinder im Krieg: Ein Zehnjähriger erlebt den Bombenangriff auf Singen
Bombenangriffe und andere Kriegsereignisse stellen für alle betroffenen Menschen eine
schreckliche Erfahrung dar, und es spielt mit Sicherheit keine Rolle, ob dies in der Ukraine,
in Frankreich, im Irak, in der Schweiz oder in Deutschland geschieht. Wenn aber Kinder in
Kriegshandlungen einbezogen werden, wenn sie Bombenangriffe miterleben müssen, dann
ist dies ein Ereignis für diese jungen Menschen, das traumatisch sein kann, auf jeden Fall
aber unauslöschlich ist. Kinder kennen keine politischen Zusammenhänge, die Gründe für
Krieg, für Zerstörung: Kinder tragen niemals Schuld für solche Vorgänge! Sie haben - völlig
unabhängig von ihrer Nationalität - das Licht der Welt erblickt, um in dieser Welt eine
friedvolle Kindheit zu erleben.
Wenngleich ich natürlich anerkenne, dass die Bombenangriffe auf Deutschland die Folge der
Kriegspolitik des Hitler-Regimes war, und obwohl ich weiß, dass das Geschehen in Singen
im Verhältnis zu den Vorgängen in den Großstädten noch glimpflich ablief, will ich an
meinem Beispiel aufzeigen, wie ein Zehnjähriger einen solchen Bombenangriff
unauslöschlich miterlebt hat:
Bis Weihnachten 1944 waren die Fliegeralarme in Singen für uns Kinder noch eher so eine
Art Kriegsspiel gewesen, obwohl alles um uns herum für den Notfall vorbereitet war. Der
Keller des Hauses in der Rielasingerstraße 19, in welchem wir damals wohnten, - es war nur
10 Häuser von der Eisenbahnbrücke entfernt -, war zum Luftschutzkeller ausgebaut worden:
Die Decken abgestützt durch starke Eichenbalken, eine Stahltüre und ein Notausgang.
Trinkwasser, Notproviant, Gasmasken, Feuerpatsche, Verbandszeug und Not-Toilette
gehörten zur Ausrüstung. Mit Kreidestrichen markierten mein Freund Bernhard und ich an
den Eichenbalken jeden Fliegeralarm.
Die schweren Angriffe auf Friedrichshafen machten uns schon immer Angst, weil wir das
Gefühl bekamen, dass die Bomber stundenlang über Singen hin und her flogen; das
schwere Brummen ist heute noch in Erinnerung! Die ersten kleineren Angriffe der alliierten
Bomber gingen für uns noch glimpflich ab. Aber dann kam der 1. Weihnachtfeiertag 1944,
ein sonniger, aber kalter Wintertag: Trotz der Lebensmittelknappheit gab es ein liebevoll
zusammengestelltes Festessen. Da brüllen um 14 Uhr die Sirenen ihr kaltes, schauriges
Lied über die Stadt am Hohentwiel: Fliegeralarm! Makaber und gleichsam wie ein Hohn
klingt dieses Sirenengeheul angesichts der Botschaft, die wir noch am Weihnachtsmorgen
im Gotteshaus gehört hatten: Friede auf Erden allen, die guten Willens sind!
Wir sind im Keller, lauschen auf näher kommende Geräusche, dumpf dröhnend, drohend!
Sehen können wir nichts, Fenster und Türen sind mit Stahlplatten verschlossen. Dann gegen
14:25 Uhr ein schauriges Heulen über der Stadt: Herabstürzende Bomben! Die Erde vibriert,
es wird stockdunkel im Keller - Stromausfall! Und immer wieder dumpfe Schläge,
ohrenbetäubendes Krachen und Heulen. In zwei Wellen werfen die schweren Maschinen
vom Typ B26 über 100 der 1000 Pfund schweren Sprengbomben nur 10 Häuser von uns
entfernt auf die dort liegende Eisenbahnbrücke, eine todbringende Fracht!
Und im Keller herrscht Angst, Todesangst: Ein Gefühl, welches man nie vergessen kann. Ich
wusste jetzt: Das war der Krieg! War da Weinen im Keller? Ich weiß es nicht mehr. Aber -
jemand von den Erwachsenen beginnt zu beten, wir Kinder schließen uns an. Es beruhigt
und es ist der einzige Trost in dieser Dunkelheit und in dieser unendlichen Angst.
Dann - die erlösende Entwarnung: Die schwere Panzertüre wird geöffnet, wir gehen nach
oben in die Wohnung. Überall Glasscherben, Holzsplitter, der Deckenputz ist herunter
gefallen, schwarze Schlacke rieselt aus den Zimmerdecken. Und im Wohnzimmer: Der
Christbaum steht noch, keine Glaskugel zerstört. Die Hirten in der Weihnachtskrippe liegen
auf dem Boden, als hätten sie Schutz gesucht. Dann kommt Vater vom Luftschutzeinsatz
aus der Maggi zurück: Wir sind alle heil davon gekommen, auch die nächsten Nachbarn -
Gott sei dank!
Aber an diesem Tag sterben 37 Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung, darunter
auch viele Kinder, Gleichaltrige wie Ingrid, die im Keller zermalmt wird!
War da nun bei uns im Luftschutzkeller auch Hass auf die Männer, die in den Bombern
saßen, welche die tödliche Fracht auf uns abgeworfen hatten, Hass auf die Piloten, die
wissen mussten, dass es auch Kinder traf? Ich weiß es nicht mehr kann mich nicht mehr
erinnern, ob da im Keller Hassgefühle hochkamen. Vielleicht gingen sie auch unter im Gebet,
welches jemand von den Erwachsenen zu sprechen begann, im Vaterunser, in dem es ja
heißt: Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern!
Und Schuld? Haben Kinder Schuld an solchem Geschehen? Hatte der getötete Helmut,
hatte Ingrid, hatten Bernhard und ich Schuld? Oder hatte der kleine Fredy im neutralen
Schaffhausen Schuld? Und unsere Gleichaltrigen in den von deutschen Bomberpiloten
angegriffenen Ländern, zum Beispiel in unseren heutigen Partnerstädten - hatten die
Schuld? Vielleicht die kleine Nicole in La Ciotat, der kleine Marjan in Celje, der zehnjährige
Guiseppe in Pomezia, die kleine Ludmilla im ukrainischen Kobeljaki?
Das Dröhnen der schweren Bomber ist heute noch präsent, der Probealarm der Sirenen
bringt immer wieder Erinnerungen zurück - auch noch nach 60 Jahren. Und auch heute
leiden und sterben täglich Kinder im Bombenhagel, im Granatfeuer, an vielen Stellen auf
unserer Erde. Und wieder sind Kinder unschuldig am Geschehen, unschuldig wie wir
damals!
Und wir, die überleben durften, haben - auch wenn es unerreichbar erscheint - den hohen
Auftrag, Friedensarbeit zu leisten, damit Versöhnung und Frieden auf unserer Erde die
Oberhand gewinnt, dass Kinder nie mehr die Schrecken des Krieges, das Heulen von
todbringenden Bomben erleben müssen!
Zur Person Wilhelm Waibel
Seit mehr als 40 Jahren beschäftigt sich Wilhelm Josef Waibel mit
der Geschichte des 3. Reiches, speziell mit dem Thema
Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Zahlreiche Publikationen
beschäftigen sich mit diesem Thema. In diesem Zusammenhang
initiierte Waibel die Städtepartnerschaft mit Kobeljaki in der
Ukraine. Verdient machte er sich auch um den Erhalt der
Theresien- Kapelle als Denkmal für Frieden und Versöhnung. In
eben dieser Kapelle überreichte ihm 2004 der damalige Singener
Oberbürgermeister Andreas Renner im Auftrag des
Bundespräsidenten Johannes Rau das „Bundesverdienstkreuz am
Bande“.
Aus dem Internet kopiert Januar 2009
2 Postkarten meines Grossvaters an Frau Sofie Kintzig- Allweiler zu Neujahr 1941 und 1942
Der Krieg beschäftigt die Menschen
(gefunden bei Räumungsarbeiten bei Sofie Rebsamen in Winterthur)
Frau Kitzing geb. Allweiler war in der Nachbarschaft meiner Grosseltern aufgewachsen und hatte sehr engen Kontakt zu ihnen, und im speziellen mit der Tochter Sofie Rebsamen, gepflegt. Sie wurde in unserer Familie mit „Söfel Allweiler“ benannt.
Postkarte an Frau Sofie Kitzing-Allweiler, Stolzenhagen; Post Wandlitz/Mark
den 2.ten Weihnachtsfeiertag 1942
Liebwerte Familie Kitzing
Wir danken herzl. für die uns zugedachten Weihnachts- und Neujahrswünsche und erwiedern sie ebenso gut gemeint. Das kommende noch verschleierte Jahr wird uns alle, dort und hier, hoffentlich dasselbe wieder erleben lassen wie das vergangene, in voller Gesundheit und persönlichen Frieden, womit nicht gesagt sein soll, dass der Weltfriede Nebensache wäre. Denselben wünschen wohl alle recht denkenden Menschen herbei und wohl nie wird ein Wunsch so einheitlich die Menschheit beseelen wie dieser. Also mutig das Schicksal an den Hörnern gepackt und den Kopf nicht hängen lassen. Wenn jedermann zu Hause thut was er soll, wie die braven Soldaten draussen und sich nach der Decke streckt, so wird’s zu gegebener Zeit wieder werden wie früher. Bin jetzt ein alter Mann, aber wenn ich so zurück denke, kann ich mich keiner Zeit erinnern, wo die Menschen zufrieden waren, immer gab's das und jenes zu nörgeln und so wird’s auch wohl in Zukunft bleiben.
Sie Frau Kitzing sind aber aus friedlichem Holz geschnitzt wie ich auch, und wir mit unsern Angehörigen werden uns auch dem Kommenden anzupassen verstehen. Nüd wohr? Oder itt?
Dem Sohne Wölfle noch speziellen Dank, dass er sich unser erinnert und was macht der Offiziersanwärter? Die zwei hauen sich schon durch, dessen bin ich überzeugt und unsere Wünsche begleiten sie. Wie schon bemerkt: Hinein ins Ungewisse; Eines ist bestimmt erfreulich nämlich das ? der Sonne und das wieder sich bemerkbar machen des noch entfernten Frühlings
Auf Wiedersehn und herzl. Grüsse an Alle, Alle von Rebsamen und Frau Sofie
An Familie Kitzing- Allweiler
Stolzenhagen, Post Wandlitz (Mark)
den 26. Dez. 1941
Liebwerte Familie Kitzing !
Wir Beide danken für den Glückwunsch herzl. und erwiedern ebenso aufrichtig. Bleibt alle beisammen gesund und friedlich und freut euch, dass die beiden Jungen noch nicht an der Front sein müssen. Hoffentlich ist der unselige Krieg vorher beendet. Man muss es als Glück betrachten, wenn man mit gutem Gewissen sagen darf: Es geht uns gut. Wir leben in ernster Zeit, sogar ausserordentlicher, und solche erfordern auch entsprechende Massnahmen. Wenn es noch Leute gibt, die über dieses und jenes glauben murren zu müssen, sich über zu bringende fast unwesentliche Opfer beklagen, so ist das bedauerlich. Wer bringt wirklich Opfer, setzt sein Leben ein? Der Soldat.- Der hätte Ursache zu klagen, aber …. er tut es nicht. Hut ab vor solcher Gesinnung.- Nun ist Weihnachten vorbei, das Fest der Freude. Nicht in allen Familien wird man frohlockt haben in denen Lücken durch den Krieg entstanden sind, aber es lässt sich nicht ändern. Wie würde es wohl aussehen jetzt in Deutschland, wären die Russen soweit im Land wie unsere tapferen Deutschen dort? Wir hätten uns wohl nicht mehr gratulieren brauchen. Es wird schon so kommen, wie wir es wünschen, nur vielleicht nicht so schnell. Bis hieher hat Gott geholfen, er wird auch weiter helfen.-.
Was wir beide Alten anbelangt geht es uns entsprechend den Verhältnissen auch ganz gut. Wir sind gesund und „g'fräss“, legen Niemanden etwas in den Weg, und darum lässt man uns auch in Ruhe; mehr wollen wir nicht. Die Tage werden wieder länger, wenn auch kälter und es dauert nicht lange spricht man wieder von Ostern. Lebt alle recht wohl und geht 42 tapfer an, wie wir es auch thun. Auf Wiedersehen Rebsamen Hch. und Frau
.
Nochmals einen Brief meines Grossvaters an Frau Sofie Kitzing Allweiler über seinen Alltag in Laufenburg
Laufenburg (Schweiz) 19. Nov. 1947
Meine alte liebe junge Freundin Sofie Kitzing- Allweiler!
Gerade eben lege ich Deinen Brief vom 2. Nov.47 beiseite und schäme mich, solange mit einer Antwort gewartet zu haben. Indessen könnten ja Gründe hiefür angeführt werden, aber ich will es lieber unterlassen als für unwahr und feige gegolten zu werden. Nimm meine Worte, die ich auch früher nicht anders hätte darbringen können, bitte so auf, wie sie gemeint sind, nämlich wahr und einwandfrei.
Singen werde ich trotz allem Vorgefallenen nicht vergessen können noch wollen. Denn 47 Jahre und im gleichen Haus wohnend, neben lieben Nachbarn, das will doch nichts anders bedeuten als restloses Einleben in die bestehenden Verhältnisse. Meine ganze Familie von a-z waren gern dort und ich mag nicht gerne daran denken, wie weh es mir tat, einen letzten Blick auf das Grab meiner Habe tun zu müssen, als Fritz mich hieher (nach Laufenburg) holte. Genug von dem, es geht mir nahe.--- Aber wie Viele haben gleiches erlebt! „Schicksal“
Alle mussten darüber hinweg kommen so schwer es ist und sich so gut's geht mit der Gegenwart aussöhnen.- Gewiss ich bin bei Fritz und Frau sehr gut aufgehoben und ihr Benehmen ist bis jetzt über alles Lob erhaben trotz dem er eine Familie besitzt: 2 Buben im Alter von 17 und 12 Jahren. Sie haben auch zu kämpfen. Der Aeltere ist in Baden bei Brown-Boveri beschäftigt als Ausläufer bis nächsten April, wo er dann die Lehrzeit als Elektriker antritt bei der gleichen Firma. Er kommt jeden Tag heim und wird Ostern konfirmiert. Er ist schon etwas grösser als sein Vater, ein strammer Kerl, hat 3 Jahre Sekundar-schule hinter sich und scheint recht zu werden.- Hoffentlich !
Der Jüngere in der sechsten Klasse und wird die Realschule auch besuchen. Sind grundverschiedene Charakter, aber sie verstehen einander gut! Also der Fritz hat Arbeit genug, um seine Familie durch zu bringen, aber er will's schaffen und seine Buben gelten ihm alles, er setzt alles für sie ein; kurz gesagt, sie führen ein gutes Leben und Verstehen. Jetzt kommen eben die Jahre wo es Geld kostet, aber andere tun's ja auch. Wir haben's auch machen müssen. Also Gott befohlen, er hat bis heute geholfen und wird auch weiter helfen.
Du warst so freundlich, meiner Frau Blumen auf das Grab zu legen. Hab innigen Dank dafür. Gerne würde ich's ja auch aber---. Wann und ob ich mal nach dort kommen kann weiss ich leider nicht. Allein getraue ich mir nicht mehr und Fritz und Frau können auch nichts bestimmtes versprechen. Wenn ich mal komme (und das würde ich ja gerne tun) wird es meine Seele erbeben beim Abschied von dort; ich darf nicht daran denken und es gibt Momente wo ich entschlossen bin es zu unterlassen. Schrecklicher Gedanke nicht wahr? Aber es ist vielleicht besser, denn ich fühle, dass man mich nicht vom Grab meiner nur zu lieben Frau Mutter weg brächte. Nicht wahr, Du verstehst mich. Will aufhören davon!!!
Mein Wiegenfest (80.Geb.) verlief herrlich; Gratulationen viele, und Geschenke fehlten auch nicht: aber das Alter macht sich umso mehr bemerkbar, s'ist halt nümme wie amig!
Grüsse mir alle bekannten Singener, vorab Deine Söhne, Güters Buben, Ott's, Berner's und viele die sich noch meiner erinnern und allen alles Gute! Sei auch Du recht herzlich gegrüsst, möge es Dir gut gehen und vernimm nochmal vielen Dank für die erwähnten „ ? nisse „
Mit Sofie stehst Du ja selbst in Correspondenz; das liebe Töchterchen besucht mich oft, möge es auch ihr gut gehen. Nun Schluss! Schon die ganze Aufmachung verrät mein Alter. Lebt wohl auf „Wiedersehen“ ? Lass es Dir gut gehen und vergiss nicht Deinen alten guten Freund
Gruss von Familie Fritz. H. Rebsamen
Handgeschrieben von Grossvater nach seinem 80. Geburtstag, 1947
Brief gefunden bei Sofie Rebsamen in Winterthur
N.B. Da ich vor Schulende nicht wusste welchen Beruf zu erlernen, hat mein Vater empfohlen, mich bei BBC zum Elektriker auszubilden. Bei der Aufnahmeprüfung habe ich mich aber spontan für Maschinen- zeichner entschlossen und die 4-jährige Lehre absolviert. Da ich gespürt habe, kein eigentlicher Praktiker zu sein, lag für mich ein Büroberuf näher. Zurück schauend war es die richtige Entscheidung, und für meinen beruflichen Werdegang die Grundlage für eine positive Karriere.
Handgeschriebener Brief von Hch.
Rebsamen an Frau Sofie Kitzing
vom 19. November 1947
( Uebersetzung Seite 53 )
Bilder Famlie Heinrich Rebsamen- Rüegg
Heinrich 1867-1952 + Sofie 1872-1944 Rebsamen-Rüegg
1932
Fritz Rebsamen-Allenbach 1899-1972
Sofie Rebsamen 1900-1988, ledig
Willi Rebsamen-Hirt 1898-1953
1937
1970
1933
1935
1937
1937
1930
1930
1918
~1970
Heinrich Rebsamen-Inglin
1894-1959
Leider keine Bilder
vorhanden
1937
Vom Stadtarchiv Singen zusätzlich erhaltene Bilder
Ehemaliges Wohnhaus (Walburgishof) im Spinnereiareal Walburgishof ( Heute Musikschule-Gelände)
Spinnerei-Gebäude 3. Stock
Ehrenmahl Friedhof Singen, Einw. 1951